Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Freispruch für Frank Wedekind und seinen Verleger Bruno Cassirer erreicht hatte. 4 George und Gundolf wurden durch das gleiche Gericht zu je fünfzig Mark Geldstrafe verurteilt, in der Revisionsverhandlung vor dem Reichsgericht Leipzig am 10. Juli 1906 wurde das Urteil bestätigt. Höchstrichterlich hatte Klages seine Verbindungen zu George und Wolfskehl kappen lassen. Weil »die sog. ›Bewegung‹, als deren Initiator sich Herr George ausgibt, unmittelbar nur den Zweck einer geschickten und weitausgreifenden Propaganda für die Person dieses Autors verfolgt«, wollte er auch später weder in Wort noch Bild mit dieser »Bewegung« identifiziert werden. 5
Drei Dichter der Siebenten Folge verdienen kurze Erwähnung: Ludwig Derleth, Lothar Treuge und (der nicht abgebildete) Walter Wenghöfer. Als die Einzigen neben Wolfskehl und Gundolf, die den Bruch zwischen der Siebenten und Achten Folge überstanden, bilden sie so etwas wie die mittlere Generation und sichern als Bindeglied zwischen den Vertretern des literarischen Aufbruchs der neunziger Jahre (Leopold Andrian, Max Dauthendey, Ernst Hardt, Oskar Schmitz, Karl Gustav Vollmöller u.a.) und den späteren Bekenntnis-Dichtern die Kontinuität der Zeitschrift. Ihre Gedichte zählten sicher zu den besseren in den Blättern , und Derleths Auftreten hinterließ auch bei anderen einen gewissen Eindruck; dennoch blieben alle drei außerhalb des Georgeschen Umfelds ohne Resonanz. Dass ihre Gedichte denen später etablierter Autoren wie Richard Schaukal, Ernst Stadler, Oskar Loerke oder Albert H. Rausch vorgezogen wurden, die sich zwischen 1899 und 1907 vergeblich um Veröffentlichung ihrer Erstlinge bemühten, unterstreicht noch einmal Georges eigenwillige Auswahlkriterien.
Ludwig Derleth (1870-1948), auf der Dichter-Tafel oben rechts in scharfem Profil Klages gegenübergestellt und noch grimmiger dreinschauend als dieser, gehörte zu jenen Schwabinger Aposteln der Jahrhundertwende,
deren anekdotenreiches Nachleben in der Literatur sie bedeutsamer erscheinen lässt, als sie tatsächlich waren. Thomas Mann hat ihn als Daniel Zur Höhe gleich zweimal porträtiert: 1904 in seiner Erzählung Beim Propheten und vierzig Jahre später im Doktor Faustus . Die von Derleth im Stil eines geistigen Militärbefehlshabers verkündeten Proklamationen , letzte lyrische Kommandos zur Eroberung der Welt, waren für Mann »der steilste ästhetische Unfug, der mir vorgekommen«. 6 Angezogen von Derleths Fundamentalismus fühlten sich dagegen so nüchterne Zeitgenossen wie Harry Graf Kessler, der schon 1896 Gedichte von ihm im Pan gedruckt hatte, und Albert Verwey, der ihn im Frühjahr 1902 durch George kennenlernte. Für ihn verkörperte dieser »bis an die Grenzen des Wahnsinns gehende Held und Märtyrer des Absoluten … die aus den ältesten christlichen Zeiten emporgedrungene streitbare Kraft des Christentums«. 7 Ähnlich sah ihn George, den Derleths Pathos an die Flagellanten des Hochmittelalters erinnerte: »Du kommst von derer zunft die strick und geissel / Erfanden für das allzu feile fleisch«. 8 Verweys Vermutung, George habe von Derleth die priesterliche Kluft, den hochgeschlossenen schwarzen Rock mit Stehkragen übernommen, dürfte zutreffend sein.
Lothar Treuge und Walter Wenghöfer, beide 1877 geboren, gehören in die Reihe jener weichen und schwachen, schattenhaften »Schmerzbrüder«, von denen sich George zwar noch immer angezogen fühlte, denen er inzwischen aber mit entschiedener Härte begegnete, was in seinem Fall allerdings kein Widerspruch war. Beide lebten berufslos, in einfachsten Verhältnissen, Treuge in Berlin, wo ihn George um die Jahrhundertwende wahrscheinlich über Lechter kennengelernt hatte, Wenghöfer in seiner Geburtsstadt Magdeburg. Unfähig, ihr Leben einigermaßen zu organisieren, litten sie unter schweren Depressionen. Wenghöfer soll oft tagelang geschlafen haben, von Treuge sind zahllose Bittbriefe an Freunde erhalten, ihm mit ein paar Mark über das Schlimmste hinwegzuhelfen. Der Formalismus ihrer düsteren, stark manierierten Gedichte war selbst George nicht ganz geheuer. »Bei aller wertschätzung der schule« müsse er »vor einer gewissen geläufigkeit warnen«. 9
Während Treuge von 1910 an nur noch mit Lechter in freundschaftlichem Kontakt stand, hielt Wenghöfer mit mehreren Freunden Georges Verbindung; George traf er noch während der Kriegsjahre gelegentlich in Berlin. Sein Freitod in der Elbe sechs Wochen vor Kriegsende löste im
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