Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Freundeskreis Bestürzung aus. Treuge starb zwei Jahre später. Er hatte 1912 geheiratet und war Leiter des Wohlfahrtsamtes Berlin-Schmargendorf geworden. Nach zwei im Verlag der Blätter 1902 und 1908 erschienenen Gedichtbänden und zwei weiteren, von Lechter aufwendig ausgestatteten Privatdrucken veröffentlichte Treuge kurz vor seinem Tod Die Apotheose der Masse , ein surreales Manifest zur theologischen Lösung des Massenproblems in 16 Artikeln.
Sonntag, den 27. März 1904, einen Tag nach der Auslieferung der neuen Blätter -Folge, fuhren George und Gundolf von München nach Wien, um Carl August Klein zu besuchen, der soeben geheiratet hatte. Am übernächsten Tag waren sie zum Mittagessen bei Hofmannsthal in Rodaun eingeladen; zugegen waren auch Hofmannsthals Vater und der Schriftsteller Rudolf Kassner. George habe »ununterbrochen, auch nachdem der Tee serviert worden war, Sandwiches« gegessen, erzählte Kassner später, und sich zwischendurch »mit seinen vom Nikotin gebräunten Fingern« unzählige Zigaretten gedreht. 10 George las aus seinen in der Siebenten Folge erschienenen Dante-Übertragungen vor, eindrücklich, geradezu unheimlich, wie Kassner fand, »murmelnd Wort an Wort reihend, jedes Pathos vermeidend, als läse er Zauberformeln«.
Am 30. Oktober 1903 hatten sich George und Hofmannsthal anlässlich der Uraufführung der Elektra durch Max Reinhardt in Berlin zum letzten Mal gesehen. Die Liste der unerquicklichen Themen war seither wieder einmal ziemlich lang geworden. Während Hofmannsthal über Wochen auf eine Beurteilung seines neuen Stückes durch George wartete, ließ dieser durchblicken, dass er in wesentlichen Punkten nicht einverstanden sei, sich aber nicht schriftlich dazu äußern wolle. Hofmannsthal seinerseits fand anerkennende Worte für Gundolfs Dichtung Fortunat , und dafür bedankte sich George
überschwänglich, auch im Namen Gundolfs. Daraufhin wurde Hofmannsthal grob. Er habe inzwischen das ganze Stück gelesen, schrieb er am 28. Januar aus Venedig, und könne »nicht umhin, hie und da etwas Befremdliches, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, etwas Ordinäres zu spüren, und manchmal leiert die Strophe recht, anstatt zu singen und ihr Schmuck ist nicht Gold und Edelsteine sondern wohlfeile Glasflüsse, in Messing gefaßt«. 11 Zeitgleich mit Gundolfs Fortunat – und bald nach den Gesammelten Dichtungen Wolfskehls – war im Herbst 1903 im Verlag der Blätter für die Kunst auch ein Band Ausgewählte Gedichte von Hofmannsthal erschienen. George hatte sich einen solchen Band seit acht Jahren gewünscht und schließlich mit viel Überredungskunst durchgesetzt. Hofmannsthal wurde nicht recht froh damit, obwohl die Auflage von dreihundert Exemplaren bald vergriffen war.
Ob bei ihrer letzten Begegnung am 29. März 1904 in Rodaun eines dieser Themen vertieft wurde? Jedenfalls scheint der Nachmittag nicht ganz harmonisch verlaufen zu sein. George reiste aus Wien ab, ohne noch einmal von sich hören zu lassen, und Hofmannsthal äußerte noch Monate später die Befürchtung, George verstimmt zu haben. Gleichwohl nahm er die Arbeit am Geretteten Venedig wieder auf, jenem Stück, »das ein Zeugnis ablegen soll von dem wie ich gegen Sie stehe und zu bleiben wünsche«. 12 Anfang Dezember schickte er die Buchausgabe mit gedruckter Widmung an George, begleitet von dem Wunsch, dass »die Gestalten dieses starken und dieses schwachen Menschen auch etwas intimeres für Sie aussprechen« mögen. George konnte auch diesem Stück nichts abgewinnen. »Ich bin in meinem gegenwärtigen lebensverhalt zu weit von den kräften abgerückt die ein werk wie das Ihrige hervorbringen.« 13 Nicht einmal Hofmannsthals Bekenntnis, er habe mit Jaffier und Pierre ein Gleichnis ihrer eigenen Freundschaft geben wollen, konnte den Umworbenen erweichen: »Ihre beiden hauptgestalten können mich nicht überzeugen.« Es war der letzte eigenhändige Brief Georges, den Hofmannsthal erhielt. Er hat ihn nicht mehr beantwortet. 14
2
Als George Ende März mit Gundolf nach Wien fuhr, um Carl August Klein zu besuchen, wusste er, dass Maximilian Kronberger in der Stadt sein würde. Er hatte den Gymnasiasten zwei Jahre zuvor in Schwabing auf der Straße angespochen und seither versucht, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Kronberger verbrachte die Osterferien bei seinen Vettern in Wien. Am Morgen nach seiner letzten Begegnung mit Hofmannsthal ließ George ihm ausrichten, dass er sich am Nachmittag gern in der Wohnung von
Weitere Kostenlose Bücher