Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Klein in der Porzellangasse mit ihm treffen würde. Auch dies war eine letzte Begegnung. Als Kronberger am 10. April von Wien zurück nach München fuhr, hatte er in der Nacht zuvor mehrfach erbrochen; da die Vettern in diesen Tagen Unmengen von Zigaretten geraucht hatten, dachten alle an eine Magenverstimmung. Aber Kronberger war an Meningitis erkrankt und fiel am Morgen nach seiner Ankunft zu Hause in die Bewusstlosigkeit. Er starb am 15. April 1904, einen Tag nach seinem 16. Geburtstag.
Der 13-Jährige war George Anfang 1902 in der Leopoldstraße aufgefallen. Nachdem er ihn eine Zeitlang beobachtet hatte, trat er eines Tages auf ihn zu und fragte ihn, ob er ihn zeichnen dürfe. Am nächsten Tag suchte er mit dem Jungen ein Fotoatelier auf, begleitete ihn anschließend zur elterlichen Wohnung am Nikolaiplatz und nannte beim Abschied auf Nachfrage seinen Namen. Kurze Zeit später entdeckte Kronberger in Littauer’s Kunstsalon, einer der wenigen Buchhandlungen, in denen die Blätter für die Kunst vom ersten Heft an erhältlich waren, zufällig das gerade erschienene George-Buch von Klages. Da sei ihm klar geworden, »dass ich eine berühmte Bekanntschaft gemacht hatte und suchte nun immer und immer wieder ihn zu treffen. Doch umsonst.« 15
George schilderte die erste Begegnung mit Maximin am Anfang seiner Gedenkrede später so:
Wir hatten eben die mittägliche höhe unsres lebens überschritten und wir bangten beim blick in unsre nächste zukunft. Wir gingen einer entstellten und erkalteten menschheit entgegen die sich mit ihren vielspältigen errungenschaften
und verästelten empfindungen brüstete indessen die grosse tat und die grosse liebe am entschwinden war … als die plötzliche ankunft eines einzigen menschen in der allgemeinen zerrüttung uns das vertrauen wiedergab und uns mit dem lichte neuer verheissungen erfüllte.
Als wir Maximin zum erstenmal in unsrer Stadt begegneten stand er noch in den knabenjahren. Er kam uns aus dem siegesbogen geschritten mit der unbeirrbaren festigkeit des jungen fechters und den mienen feldherrlicher obergewalt … An der helle die uns überströmte merkten wir dass er gefunden war. Tage um tage folgten wir ihm und blieben im banne seiner ausstrahlung ehe wir mit ihm zu reden wagten. 16
Im Januar 1903 kam es zu einem Wiedersehen auf der Straße – wohl nicht zufällig, wie Kronberger vermutete. Er begann umgehend ein Tagebuch anzulegen, in dem er alle Begegnungen mit dem Dichter festhielt, den er jetzt öfters traf: an Samstagnachmittagen im Hause Wolfskehl, später in Georges Unterkunft vor den Toren Schwabings oder zu gemeinsamen Spaziergängen. Den Aufzeichnungen stellte er ein reich verziertes Titelblatt voran: »Stefan George. Erinnerungen von M. Kronberger. Verfasst München 1903-19« Der jugendliche Verfasser dachte zweifellos in literarischen Kategorien und formulierte wohl im Hinblick auf eine baldige Veröffentlichung. »Dies buch soll nicht etwa den anspruch erheben, sich vor andern einen namen zu machen«, schrieb er in einem »Vorwort« im Februar 1904, als er ein neues Heft anlegte, »sondern seine bestimmung ist, den charakter Stefan Georges aus seinem umgang mit mir zu entwickeln.« 17 Kronberger schrieb seit einiger Zeit Gedichte und legte dabei eine für sein Alter ungewöhnliche Routine an den Tag. Er hoffte, durch seine »berühmte Bekanntschaft« weiterzukommen, und nahm Anregungen und Kritik dankbar an; gleichzeitig achtete er darauf, von George als Dichter respektiert zu werden. Geradezu verblüffend ist die jugendliche Unbekümmertheit, mit der Kronberger über die Georgeschen Dichtungen urteilt. In den Blättern für die Kunst habe er doch »einige recht ansprechende Sachen von George« gefunden; die ersten drei Zyklen im Jahr der Seele seien »mit geringen Ausnahmen recht gut«; nach der Lektüre von Tage und Thaten notierte er, dass ihm das Ganze bis »auf einzelne Stellen recht gut gefällt«. 18
George wusste den Erwartungen des Jungen zu entsprechen. Er brachte ihn mit Hofmannsthal, Gundolf und anderen Mitarbeitern der Blätter zusammen, und stolz berichtete Kronberger seinem ebenfalls dichtenden Vetter in Wien: »Ich werde jetzt auch schon als Dichter bekannt. Zu wem ich komme, ich werde von jedem als solcher angesehen.« 19 George nahm ihn mit zum Kostümfest bei Henry von Heiseler, auf dem er selber als Dante, Kronberger als Florentiner Edelknabe auftrat, und schickte dem Jungen am nächsten Tag den Lorbeerzweig, den er getragen
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