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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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hatte. In den Blättern setzte er drei Zeilen von ihm als Motto über ein eigenes Gedicht, und als Kronberger ihn darauf hinwies, dass auch er ein Gedicht mit dem Titel »Die tote Stadt« geschrieben habe, scherzte George, er wolle wohl schon mit ihm konkurrieren. Der Junge war stolz, einen so berühmten Dichter zum Freund zu haben, und George versäumte es nicht, seine Phantasie zusätzlich zu wecken. Er sei auf dem Scharfrichterball gewesen, erzählte er, und als man ihn dort erkannte, »habe man ihm stürmische Ovationen bereitet«. 20 Bei Gerhart Hauptmann, für den er selber gar nichts übrig habe, hänge ein Porträt von ihm. 21 Er lieh Kronberger die Literaturgeschichte von Richard M. Meyer, »in der er rühmlichst erwähnt war«, und vergaß nicht aufzuzählen, wo überall Vorträge über ihn gehalten wurden. 22
    Die mitbürtigen die ihn nicht sahen und die späteren werden nicht begreifen wie von solcher jugend uns solche offenbarung zuteil wurde. Denn so sehr die zartheit und seherische pracht seiner hinterlassenen verse als bruchstücke eines eben beginnenden werkes jedes uns gültige maass übersteigt: er selber lieh ihnen keine besondere bedeutung … Allein wir wissen dass nur greisenhafte zeitalter in jugend ausschliesslich vorstufe und zurichtung, niemals gipfel und vollendung sehen … Wir wissen dass die ungeheuren fahrten die das aussehen unsrer flächen veränderten im hirn des schülers Alexander geplant wurden, dass der zwölfjährige sohn aus Galiläa die schriftgelehrten der hauptstadt unterwies: der herrscher des längsten weltreiches unsrer überlieferung nicht als dreissiger sondern als jüngling auf seiner blumigen bahn die ewigen zeichen fand und als jüngling den tod erlitt. 23

    George war sich darüber im Klaren, dass er sich mit den argwöhnischen Eltern gut stellen musste, wollte er den Jungen regelmäßig sehen. Er ermahnte Max, fleißig in der Schule zu sein – »das sei ich meinen Eltern, mir und auch ihm schuldig«. 24 Zusammen mit Gundolf nahm er sogar an seiner Konfirmation teil. Aber obwohl die Eltern ihn »sehr interessant« fanden, blieben sie doch misstrauisch und erlaubten es ihrem Sohn offenbar nicht, George in Bingen zu besuchen. Der Vater, Alfred Kronberger, Jahrgang 1857, hatte als Möbelfabrikant in Berlin, später als Mitbesitzer der Köhlersbrauerei in Würzburg genug verdient, um sich im Alter von 43 Jahren in München zur Ruhe setzen zu können.
    Als George im Dezember 1903, alarmiert durch den sich zuspitzenden Streit zwischen Klages und Wolfskehl, früher als sonst nach München fuhr, dürfte ihn die Aussicht auf das Wiedersehen mit Max zusätzlich motiviert haben. Schon einen Tag nach seiner Ankunft in München, am 19. Dezember, verabredete er sich mit Max, am 21. überraschte er ihn auf dem Heimweg von der Schule, am Abend des 23. durfte Kronberger seine Weihnachtsgeschenke entgegennehmen, darunter ein von Ernst Gundolf gezeichnetes, bei Holten gedrucktes Exlibris. Eine Woche später sahen sie sich wieder. George musste in diesen Tagen die Gedichte des Wiener Vetters und eines Schulfreundes von Max beurteilen. Sie sprachen über Musik – »Musik steht auf der tiefsten Stufe der Kunst. Sie ist die Kunst, die selbst den Tieren in einem bestimmten Grade eigen ist« – und über Biographien. 25
    Dann kam, was kommen musste. Nachdem es im April wegen eines von Max nicht eingehaltenen Termins schon einmal geknirscht hatte, beklagte sich George am 2. Januar bei Alfred Kronberger, dass sein Sohn ihm am Neujahrstag nicht seine Aufwartung gemacht habe. Die Atmosphäre zwischen ihnen kühlte merklich ab. »Er sprach sehr wenig und schien überaus präoccupiert«, notierte Kronberger nach ihrem nächsten Treffen, Sonntag, den 10. Januar. Am Sonntag darauf heißt es im Tagebuch: »Er war sehr unliebenswürdig zu mir und schien von widerwärtigen Gedanken eingenommen.« 26 Am 24., dem
folgenden Sonntag, sagte Max kurzfristig ab. Als er am Freitag darauf George aufsuchte,
    liess er mich ungewöhnlich lange warten, obwohl er im Nebenzimmer war. Endlich kam er, reichte mir die Hand und sah mich lange an … Dass ich am Sonntag keine Zeit gehabt hätte, sei eine blosse Ausrede, er kenne das aus seiner Jugend etc. Auch für den kommenden Sonntag sei es eine dumme Ausrede. Ich sagte ihm, ich hätte in der Tat keine Zeit, er tue mir Unrecht. Da drehte er sich zu mir, legte die Stirn in Falten und drohte mir mit dem Finger. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und begann,

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