Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
wenn ich keine Zeit resp. nicht den Willen habe zu kommen, wenn er Zeit habe, so habe auch er nicht Zeit noch Willen mich zu empfangen, wenn ich komme. »Kommen Sie, wenn Sie wollen«, schloss er. Ich sagte kalt adieu und reichte ihm die Hand, er aber sah absolut nicht her … Ich brauche mich doch nicht von ihm da zusammenschimpfen lassen wie ein Schuljunge? 27
Am nächsten Tag schrieb Kronberger an George, dass die Beziehung für ihn beendet sei: »Sehr geehrter Herr George! Nach dem gestrigen Vorkommnis und nach Ihrem kühlen Verhalten gegen mich in der letzten Zeit sehe ich keinen Grund unsere Bekanntschaft weiterzuführen, sondern bitte Sie, alle Beziehungen zu mir abzubrechen … Hochachtungsvollst Maximilian Kronberger«. Den Wiener Lieblingsvetter ließ er am gleichen Tag wissen, dass er alles seinen Eltern erzählt habe, die schon immer gewünscht hätten, dass er nicht so oft zu George gehe.
Im Vorwurf, der Geliebte rede sich heraus, wenn er behaupte, keine Zeit zu haben, ließ sich das Leiden des Liebhabers nur schlecht verbergen. George war in der gleichen Situation wie zwölf Jahre zuvor, als er in Wien den 17-jährigen Hugo von Hofmannsthal so lange bedrängte, bis dieser entnervt sich seinem Vater anvertraute. Diesmal kam es nicht zu einer Duellforderung. George hatte gelernt, und er war vorsichtiger geworden. Weil er Max nicht verlieren wollte, suchte er gleich nach Erhalt des Briefes Alfred Kronberger auf, um sein Verhalten zu erklären. Der Vater redete mit dem Sohn, und am nächsten Tag versöhnte sich Max mit George.
Und doch lag von nun an ein Schatten über ihrer Beziehung – auch weil Max sich in diesen Tagen zum ersten Mal verliebte. Die Angebetete
war die schöne Tochter einer Freundin der Wiener Verwandtschaft, hieß Dolores Tutti und wurde von Max »Leda« getauft. An sie richtete er jetzt fast alle Gedichte. Auch Kronbergers letzte Verse, »Der Tod der Geliebten«, eine zwei Wochen vor seinem Tod entstandene lyrische Szene im Stil Georges, besangen die »Schmerzensreiche«. Während seiner letzten Osterferien in Wien sah er sie häufig.
Und Maximin ging im rauschenden frühling an der hand der geliebten durch die gärten … In dieser frist seines vollen erglühens durften wir ihm den hintergrund bereiten … Dies aber war Maximins stolzester abend als er unter langen gesprächen mit dem Meister durch die halbentschlafnen fluren gegangen war und dieser sagte während sich hinter dem schloss eine weinrote wolke erhob: Mein Maximin, was du mir entgelten wolltest ist reichlich zurückgegeben. Mit Einem satze hast du ein quälendes geheimnis gelöst zu dem kein buch und keine rede mir den schlüssel brachte: du hast über grosse eisige flächen nun ein gleichmässiges und wärmendes licht verbreitet. Ich entlasse dich als schüler, nimm mich zum freund! denn immer bleib ich ein teil von dir wie du ein teil von mir … Nach diesen tagen der entzückung ging er von einem fiebertraum in den tod – so schnell dass wir nur auf ein gewohnes grab starren konnten, und nicht glauben dass es ihn berge. 28
George hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, an der Beisetzung teilzunehmen. Durch Wolfskehl, der sich täglich bei den Eltern erkundigte, war er auf dem Laufenden. Als er am Morgen des 15. April das Telegramm mit der Todesnachricht erhielt, zog er es jedoch vor, mit Gundolf, der an diesem Morgen von Darmstadt nach Bingen kam, ein paar Tage zu verreisen. Gundolf diktierte er auch das Kondolenzschreiben an die Eltern: »Das furchtbare Unglück welches Sie betrauern hat auch mich so erschüttert, dass ich mich kaum fassen kann. Ihren Schmerz teile ich als hätte ich in dem geliebten Toten selber einen Sohn verloren.« Max werde jedoch »unter uns weiterleben in der Gestalt wie er von uns schied, als ein unvergänglicher Liebling Gottes und der Menschen«. 29 Im Mai bat George die Eltern, alles aufzubewahren, »was Max an gedichten und aufzeichnungen hinterlassen hat«. Er benötige es für »das gedächtniszeichen das ich ihm eines tages zu setzen willens bin«.
Der plötzliche Tod Maximilian Kronbergers traf George schwer. Noch Anfang Januar, auf dem Höhepunkt der Kosmiker-Krise, hatte
er ihn seinen »leitstern in diesen wirren« genannt. »Wenn diese vertrauenden und bereiten lippen sich nicht an mich gedrängt hätten«, würde ihm die Kraft für solchen Streit wohl fehlen. 30 Es fällt jedoch auf, dass Georges Trauer sowohl von ihm selbst als auch von seiner engsten Umgebung schnell
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