Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
stilisiert wurde. Mit der Totenfeier für den Frühverstorbenen war offenbar Größeres geplant.
Dokumente zur allmählichen Entstehung des Maximin-Mythos zwischen April 1904 und April 1905 sind spärlich. Die beiden entscheidenden Briefe an Gundolf fehlen (wohl vom Empfänger auf Anordnung Georges gleich nach Lektüre vernichtet). Der eine von Anfang Mai 1904 handelte – so viel lässt sich rekonstruieren – vom »Sieg des Heldenhaften in der Welt« und dem »Amt des Dichters es zu finden«; der andere war ein »Brief voll heiliger Trauer« von Mitte Januar 1905. 31 Erhalten blieb eine Mitteilung Georges auf einer Postanweisung an Lechter vom 1. Mai 1904; Lechter hatte angefragt, ob er auf der Durchreise von Köln Richtung Süden in Bingen Station machen solle. »o M!! wenn Sie ahnten was inzwischen über mich erging: so würden Sie Ihren besuch in Bingen für nicht überflüssig halten. Ihre genaue nachricht und Sie bald erwartend Ihr St.« 32 Auch gibt es einen kurzen Brief vom Juni 1904 an Sabine Lepsius: »Ich trauere über einen unbegreiflichen und frühen tod der auch mich an die lezten klüfte hinführen wollte....« 33 Die Empfängerin wusste zwar nicht, um wen es sich handelte, und wagte auch nicht nachzufragen. Aber als George Mitte September wie gewohnt nach Berlin kam und sich allmählich herumsprach, was es mit Maximin auf sich habe, »hallte in allen Seelen sein Name wider – wir waren erfüllt von seinem kurzen, leuchtenden Dasein«. 34
George habe »von seinem Erleben … nur in Ausnahmefällen« gesprochen, erinnerte sich Kurt Breysig, der ihn in diesem und im folgenden Herbst häufiger traf. Nach dem Tod Kronbergers sei jedoch »viel von der Gestalt und dem Wesen des jungen Freundes« die Rede gewesen. »Ich denke noch heute mit Bewegung daran, wie er seinen Kopf tief herabneigte, damit ich sehen sollte, wie viel graue Haare sich in die dunklen auf seinem Haupte gemischt hatten.« George sei
davon überzeugt gewesen, »dass Maximin erst der wahrhaft Erfüllende hätte werden sollen, ihm selbst dann aber Amt und Aufgabe eines Johannes zugefallen sein würde«. 35
Anfang Februar 1905 wunderte sich Carl August Klein, dass George an seinen Gewohnheiten festhielt und sich auch zu Beginn des neuen Jahres wieder in München niederließ. »Glauben Sie dass man diesen Haupt-sitz einfach aufgiebt«, fragte George, nur weil einige »brüche und verluste« die Stadt »im andren licht erscheinen lassen?«
Freilich ist der diesjährige aufenthalt sehr verschieden von den früheren Das rauschhafte ist verflogen – neu angeschossen ist noch wenig und in allem waltet die trauer über einen verlust den wir alle begreifen die wir des kreises sind – der den andren sterblichen niemals aufgeht. Freilich haben sie [Sie?] nur im Münchener schnee und in den winden des vorfrühjahrs etwas wie einen schwachen schatten von dem verblichenen Dichter wahrgenommen aber es war in Ihrer wohnung wo ich zum lezten mal den blick warf auf diesen einzigen wahrhaft göttlichen menschen. – Eh ich zu einem andren werk übergehe werd ich ein gedenkwerk an ihn herausgeben – Eine einleitung die sein menschliches bild festhält – eine reihe von gedichten unsres kreises zu seinem andenken – dann eine auswahl seiner eignen verse. – Eine bessere dichterische aufmunterung konnte ich Ihnen jetzt nicht senden als Maximins leztes gedicht. es ist schön wie die einfachen und grossen dinge es ist die ahnung seines todes und zugleich die krönung dieses gotterfüllten lebens das gelebt wurde in einer so götterlosen zeit Herzliche umarmungen an frau Ellen Mathilde. Ihr freund Stefan 36
Mitte April 1905, ein Jahr nach Kronbergers Tod, lag das Manuskript des ihm gewidmeten Gedenkbuchs abgeschlossen vor. 37 Es enthielt eine Einleitung Georges – seinen längsten und gewichtigsten Prosatext überhaupt, der später in demonstrativer Profanierung Vorrede genannt wurde -, Gedichte von George, Wolfskehl, Gundolf und Lothar Treuge (der den Verstorbenen nie kennengelernt hatte), ein Gedicht des Vetters Oskar Dietrich und 21 Gedichte aus dem Nachlass Kronbergers. Am 20. April schickte Gundolf das Manuskript zur Druckvorbereitung an Lechter in Berlin; eine Woche später dankte George diesem für das Verständnis, das er bei ihm gefunden habe: »Ich bin die ganze zeit im schatten dieses Toten gewandelt. und als die jährung nahte wurde die traurigkeit immer beängstender … Was mir
grossen trost gewährte war dass Sie, mein teuerster freund,
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