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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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ästhetische Theorie durchbuchstabierte. Am 12. November 1899 hatte er an einer Lesung Georges im Salon Lepsius teilgenommen und sich eine Woche später mit ihm im Atelier des Malers Stoeving verabredet. George sei »nicht im mindesten aufgeputzt«, er rede »frei und lässig« und habe offenbar »viel gedacht, viel aufgenommen«, so dass er sich »in die Betrachtungsweise eines Gelehrten zum mindesten unendlich schnell hineinfinden kann«, notierte Breysig hinterher in seinem Tagebuch. »Grosser, grosser Eindruck: ein excessiver Mensch – endlich einmal!« 25
    Breysig hatte sich vorgenommen, »die unterschiedlichen Forschungsgebiete der Geschichtswissenschaft in einer universalhistorischen und damit sinnvermittelnden Sicht der Geschichte … zusammenzuführen«.
26 Statt wie sein Lehrer Treitschke jahrelang in staubigen Archiven »zu versitzen«, wolle er versuchen, »neue Zusammenhänge aufzuspüren, allem Grossen und Ganzen nachzutrachten« und auf diese Weise der Realisierung »der Idee einer Geschichte der Menschheit« näherzukommen. 27 Die Titel seiner (im Übrigen allesamt bei Georg Bondi erschienenen) meist mehrbändigen Hauptwerke unterstrichen den universellen Anspruch: Die Kulturgeschichte der Neuzeit (1900/01), Der Stufenbau und die Gesetze der Weltgeschichte (1905), Geschichte der Menschheit (1907ff.; 1955 noch einmal postum in fünf Bänden, mit einem Vorwort von Arnold Toynbee). Die Komplexität der Weltgeschichte glaubte Breysig am ehesten dadurch zu erfassen, dass er die verschiedenen Entwicklungsstufen, welche die einzelnen Völker zu verschiedenen Zeiten durchliefen, vergleichend miteinander in Beziehung setzte. Damit bildete er das Zwischenglied zwischen den völkerübergreifenden Visionen Herders, auf den er als den großen Anreger häufig verwies, und Oswald Spengler, dem er später eine unzulässige Popularisierung seiner Ideen vorwarf.
    Die oft nächtelangen Gespräche mit dem zwei Jahre älteren, ihm menschlich sympathischen Breysig gehörten für George zu den Höhepunkten seiner Berliner Herbstaufenthalte. »Mir ist das selten im Leben begegnet, dass ich so frei und rückhaltlos mit Einem reden konnte.« 28 Einmal lud er Breysig sogar ein, mit ihm und anderen Freunden die Sommerferien in der Schweiz zu verbringen. Weil Breysig einen ähnlichen Totalitätsanspruch verfolgte wie George und nicht weniger schnell gekränkt war als dieser, kam es hin und wieder zwar zu Verstimmungen. Aber erst als Breysig begriff, dass seine Lieblingsschüler Wolters und Vallentin in George ihren neuen Mentor gefunden hatten, geriet das Verhältnis in eine Schieflage. Breysig sprach von Verrat, George lehnte jede Verantwortung für den Seitenwechsel ab.
    In Breysigs Konzept einer wertorientierten Geschichtsschreibung spielte die Führerpersönlichkeit von Anfang an eine zentrale Rolle. Nicht zuletzt aufgrund der Verehrung, die ihm im Kreis um Wolters
und Vallentin entgegengebracht wurde, dürfte Breysig geglaubt haben, selber ein solcher Führer zu sein. Was er seinen Schülern bieten konnte, war aber allenfalls der theoretische Überbau, als Persönlichkeit war er wohl nicht stark genug. Wolters und Vallentin hielten schon bald Ausschau nach schöpferischen Menschen, die mitbrachten, was Breysig fehlte. Der erste, den sie ins Visier nahmen, war Rudolf Borchardt. Anfang November 1905 kam er zu einem zweiwöchigen Aufenthalt nach Niederschönhausen und warb seinerseits eifrig um ihre Gunst. Noch Jahrzehnte später schwärmte er: »Ein Element von dem Zauber, der in vergangenen Epochen berühmt gewordene und in die Geschichte eingetragene Jünglingsgruppen durch die Ahnung späterer Wirkungen und vorgedeutete Tiefe und Grösse so anziehend macht, schwebte um die ausnehmend begabten und höchst liebenswürdigen Naturen.« 29
    Die »Hausgemeinschaft mit halb ernsten halb drolligen Riten« war von dem Gast nicht weniger beeindruckt als dieser von ihnen. »Borchardts Haltung und Geste ist imponierend, er ist sprachgewaltig, von plastischer Gebärde, suggestiv, mitreißend. Mit dichterischem Pathos, mit bebenden Nüstern, sagt er auswendig eigene und fremde Gedichte, in verschiedenen Sprachen … Vallentin spricht von ihm wie von einem Wunder.« 30 Über Vallentin war der Kontakt zustande gekommen, aber derjenige, vom dem sich Borchardt am meisten versprach, war Wolters. Dieser »schlug den hellen Ton an von dem das Haus klang … leicht, ritterlich, rasch und gewandt, mit rotbraunem Haar und errötender Haut, den

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