Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
so glanzvoll es sich ausnehmen mochte, konnte er nicht zufrieden sein. Um weiterzukommen, erhöhte er noch einmal kräftig den Druck, auf sich selbst und auf seine Umgebung. Am 7. Januar 1909 kam Berthold Vallentin nach Bingen. Er fand George »in seltsamer Verstörung, wie ich ihn eigentlich nie gesehen«.
Was George am meisten erregte, waren »Unbestand und mangelnder Eifer des Kreises«. Über alles und jeden schien er sich zu erregen, über Wolfskehl, der unnütze Artikel publiziere, über Morwitz, der seine Zeit mit Jura vertrödele, über Vollmoeller, der für den Kreis wohl endgültig verloren sei. Nachdem er sich über den in seinen Augen beklagenswerten Zustand des deutschen Theaters ausgelassen hatte, kam George auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Er drängte Vallentin, in Berlin eine Aufführung seines Weihespiels Die Aufnahme in den Orden zu organisieren. 43
George hatte das Stück Anfang 1901 geschrieben, nicht zuletzt wohl in der Hoffnung, es im Rahmen der Festspiele der Darmstädter Künstlerkolonie um Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens zur Aufführung zu bringen. 44 Als daraus nichts wurde, wollte er Die Aufnahme in den Orden im Februar 1903 in München aufführen lassen (in der Leopoldstraße 51, wo Wolfskehls damals noch wohnten, standen vorübergehend die Parterreräume leer). Zweimal wöchentlich wurde in privatem Kreis geprobt, aber zu einer Aufführung kam es auch jetzt nicht; im Münchner Fasching interessierte man sich für anderes. Es war Georges letzter Versuch gewesen, auf dramatischem Gebiet zu reüssieren und seine Vorstellungen eines modernen Sprechtheaters nach antikem Vorbild umzusetzen.
Seit der Jahrhundertwende hatte sich an den deutschen Bühnen manches getan. Stellvertretend für den allgemeinen Geschmackswandel stand die Ablösung des naturalistischen Illusionstheaters von Otto Brahm durch die neue Bühne von Max Reinhardt, der 1905 das Deutsche Theater in Berlin übernahm. Auch die jetzt allerorten gegründeten Fest- und Weihespiele mit ihrer anspruchsvollen Ästhetik fanden viel Zuspruch. Am Ende dürfte es der spektakuläre Erfolg von Ernst Hardts Tristan-Drama Tantris der Narr gewesen sein (Uraufführung Köln, 7. Dezember 1907, zweifacher Schiller-Preis 1908), der George um die Jahreswende ermutigte, einen letzten Anlauf in eigener Sache zu nehmen. Hardt gehörte mit Vollmöller und Hofmannsthal zu den gefeierten Bühnenautoren dieser Jahre, und alle drei hatten einmal in den Blättern für die Kunst angefangen. Auch wenn George
ihre Stücke grässlich fand, schmeichelte er sich doch, am Erfolg nicht ganz unbeteiligt zu sein. Ulrich von Wilamowitz soll den Tantris siebenmal gelesen haben, spottete George gegenüber Vallentin; er könne es nur begrüßen, dass der große Philologe, »der so laut über ihn gezetert, sich an seinem Auswurf so herrlich freue«. 45
Es gebe bereits Schauspieler, spekulierte George im Januar 1909 im Gespräch mit Vallentin weiter, die in der von ihm geforderten Weise rezitierten. Umso notwendiger sei es, durch Spielpraxis im eigenen Kreis Maßstäbe zu setzen. Wo so viel Geld ausgegeben würde für Minderwertiges, könne es doch so schwer nicht sein, sein Stück in Berlin aufzuführen. Wolters sei leider etwas bequem, »der setze sich nur gerne in die Mitte, wenn alles gemacht sei«. 46 Einwendungen Vallentins wischte George beiseite. Wenn er Ende des Monats nach Berlin komme und sie bis dahin nichts auf die Beine gestellt hätten, bekämen sie ihn auf Jahre nicht mehr zu Gesicht. Er rate Vallentin dringend, diese Drohung ernst zu nehmen.
Das wild-erregte Gespräch mit Vallentin am 7. Januar 1909 in Bingen erinnert in vielem an den fordernden Ton der frühen Jahre. George will einen Neuanfang und sucht seine Ungeduld gar nicht erst zu verbergen. Aus den Tagebucheintragungen Vallentins wird die ganze Aggression spürbar, die ihn gepackt hatte. Dass George sich in dieser Situation ausgerechnet an die »Pfaffen« hielt und ihnen die zeremonielle Aufführung eines Weihespiels übertrug, ließ nichts Gutes ahnen. Eine anachronistische Dichtung, dargeboten von einer rhythmisch skandierenden Gemeinde: Hier zeichnete sich eine unheilvolle Entwicklung ab.
Am 1. Februar wurde das kleine Stück im Lichterfelder Kreis gleich dreimal hintereinander »geprobt«. Vallentin, der inzwischen verheiratet und aus der Wohngemeinschaft ausgezogen war, hatte den 19-jährigen Ludwig Thormaehlen, einen Schulfreund von Wilhelm Andreae, für den Nachmittag in
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