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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Schalk in den blitzenden fast all zu blauen Augen, vollendet dichterisch ohne ein Dichter zu sein«. 31
    Nur wenige Tage nach Borchardts Abreise tauchte Stefan George zum ersten Mal in Niederschönhausen auf. Er dürfte von Borchardts Besuch erfahren haben. Seit Borchardt 1902 Anschluss an Hofmannsthal gefunden hatte und diesen auch öffentlich gegen George auszuspielen suchte, sah George in ihm eine ernste Bedrohung. So wie zwei Monate später im Fall Boehringer und wie einige Jahre später noch einmal bei Landmanns galt es, die Umworbenen vor die Alternative
zu stellen. George kam in Begleitung von Breysig und Morwitz. Als er »in unser Zimmer trat, konnten wir uns kaum tief genug verneigen«. 32 Der 18-jährige Morwitz bemerkte hinterher trocken, »er hätte nicht gedacht, dass es etwas so Scheußliches geben könnte« wie diesen Kreis begeisterter, schon etwas ältlicher Jünglinge.
    Zwei Jahre später, im Dezember 1907, nahm Morwitz in Vertretung Georges an einer von Wolters und Vallentin organisierten »Feier der Huldigung vor dem Siebenten Ringe « teil. Im Juni hatten die beiden das Haus am Park von Niederschönhausen aufgegeben und sich mit den Brüdern Andreae in einer Villa in Groß-Lichterfelde eingemietet – ein Umzug vom Nordosten der Stadt in den Südwesten. Eine Ecke weiter zog der Architekt Paul Thiersch ein, der spätere Gründer der Werkstätten Burg Giebichenstein in Halle; er war der Schwager von Kurt Hildebrandt, einem weiteren Mitglied des Wolters-Kreises. Neben regelmäßigen Vorträgen veranstaltete die Wohngemeinschaft in der Holbeinstraße gern auch kleine Theateraufführungen und Lesungen. Folgt man dem Programmzettel für den Abend, an dem aus dem Siebenten Ring gelesen wurde, bewegten sich die Beteiligten dabei bereits in vollkommen vergeistigtem Zustand:
    Wir greifen an das geheiligte, indem wir unser wesen aufgeben. Da wir das hohe anruehren, verliert das bewusstsein unseres lebens sein recht. Wir muessen uns aufgegebene verlorene fuehlen, um aus dem erhabenen kelche den in ihm letztverborgenen uns umschmelzenden verseelenden vergottenden strahl, die mystische eingiessung in den weltenthobenen schwebenden den hinatmend gestillten rausch zu erfahren. 33
    Drei Tage später schilderte Morwitz den Abend in einem Brief an Gundolf; dieser antwortete postwendend:
    Ihr Bericht über den Lichterfelder Abend ist voll von Anschaulichkeiten und Beschaulichkeiten. Es ist seltsam, sieht man diesen Enthusiasten tiefer in Hirn und Herz, so sind es recht gescheite und lebendige Menschen, die nur aus Mangel an Ausdrucksvermögen, an Bewegungskultur, diese seltsamen Übertreibungen sich zu schulden kommen lassen. Ich hoffe diese höchst schätzbaren Kräfte lassen sich noch organisieren und fruktifizieren statt dass sie sich in übersteigerten Gesten verlieren. Lieber Ernst! Pathos allein genügt nicht, man muss auch Ironie (romantische!) haben. 34
    Damit war aus Gundolfs Sicht alles gesagt und die Richtung für die Auseinandersetzung vorgegeben. Zwei Jahre später musste er allerdings einräumen, dass er die Vitalität von Wolters unterschätzt und deutlich an Terrain verloren hatte. Er sah die Entwicklung mit größter Besorgnis und machte sich selbst heftige Vorwürfe: »Jetzt haben wir Einen, der schlägt den Kaiser inmitten seiner Garden tot und wird nicht gefangen.« 35
    George hielt erst einmal auf Abstand. Der barocke, weltmännische, übersprudelnde Vallentin, der ihm wohl mehr zusagte als der beflissene, vor Ehrfurcht oft starre Wolters, durfte ihn zwar zweimal in Bingen besuchen. In Niederschönhausen aber ließ sich George nicht wieder blicken, in Lichterfelde erschien er ein einziges Mal. Wolters’ frühe Unterwürfigkeitsadressen – »HERR und MEISTER, ich hob EUCH diesen kelch …« – beantwortete er, wenn überhaupt, kühl abweisend: »Herrn Dr Fritz Wolters. Ihr neues widmungsgedicht mahnt mich dass ich Ihnen noch für Ihre minnelieder zu danken habe … Ich lobe Ihren versuch … Aber … für uns ist diese ganze kunstübung etwas flau. In freundlicher gesinnung Stefan George.« 36 Wolters ließ sich von seinem einmal gefassten Entschluss, in George seinen Führer zu sehen, jedoch nicht mehr abbringen. Er knüpfte Kontakt zu Melchior Lechter, der ihm als katholischer Westfale und Mystiker auf Anhieb zugetan war und über den er 1911 eine kleine Monographie veröffentlichte, und unternahm auch sonst einiges, sich ins Gespräch zu bringen.
    Im Sommer 1908 schien George zu ahnen, wie

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