Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
nützlich ihm der »manische Enthusiast« (Borchardt) möglicherweise noch werden konnte. Wolters hatte ihm das Manuskript seines Beitrags zu einer Festschrift für seinen Doktorvater Gustav Schmoller geschickt: »Möchte Ihnen meine studie gefallen! das bild jener welt begriff ich erst in Ihrem bilde.« 37 In diesem Aufsatz »Über die theoretische Begründung des Absolutismus im siebzehnten Jahrhundert« – ein Thema, das George eher abgeschreckt haben dürfte -, entwickelte Wolters erstmals seine Vorstellung von »Herrschaft« und »Dienst«. Leider hätten die Zeitgenossen verlernt, »dass Herrschaft und Dienst
nicht nur Begriffe sind, um Verhältnismaße wirtschaftlicher Pakte zu bezeichnen, sondern lebendiges Handeln lebendiger Menschen, so dass die einen erhaben sind , die anderen willig oder unwillig sich neigen«. 38
George dürfte das Manuskript nach seiner Rückkehr aus den Ferien Mitte August gelesen und Ende des Monats mit Gundolf darüber gesprochen haben. Fast anderthalb Monate hatten sie im Engelberger Tal an den Shakespeare-Übersetzungen gearbeitet – für Gundolf ein Höhepunkt seiner Freundschaft mit George. Dass er ihn einmal eine so lange Zeit an der Arbeit gesehen und »in die Maschinerie dieses Geistes Einblick gewonnen habe«, sei für ihn eine unschätzbare Erfahrung. Dabei habe er
über ihn nicht weniger gelernt als für mich … und ich wünschte nur das eine, es könnten alle hoffnungsvollen Jünglinge eine solche Zucht durchmachen … Ich darf wohl sagen, es gibt keine drei Menschen, die ihn so kennen wie ich jetzt, und mir kommt vor, als habe ich ihn vor der Shakespeare-Arbeit nicht gekannt. Und das macht mich oft traurig, dass das wundervolle Wesen dieses Menschen niemand ganz würdigt … den einen GROSSEN Mann der heut lebt, unter vielen Begabten und Gescheiten, so als MANN, als CHARAKTER zu zeigen, kann jetzt die einzige Pädagogik des »Kreises« sein. 39
Aber wenn schon die nächsten Freunde kaum Gelegenheit hatten, so lang mit George zusammen zu sein wie er, wie sollten dann Außenstehende die strenge Sachlichkeit und sittliche Größe dieses Mannes jemals begreifen? Im Anschluss an die gemeinsamen Ferien suchte Gundolf nach Wegen, diese Aufgabe zu lösen. Dabei kamen ihm die Stichworte von Wolters gerade recht, ja vielleicht war seine Wut über dessen Text der eigentliche Anlass für die »8-10 Seiten sonderbarer Prosa«, die Anfang Dezember fertig vorlagen. 40 Inzwischen hatte auch Wolters das zentrale Begriffspaar aus dem Schmoller-Aufsatz weiterentwickelt. Mitte Februar 1909 erschienen beide Aufsätze im dritten Ausleseband der Blätter für die Kunst : »Gefolgschaft und Jüngertum« von Gundolf auf den Seiten 114-118, »Herrschaft und Dienst« von Wolters auf den Seiten 156-159.
Wer genau las, konnte Gundolfs Aufsatz, besonders den dritten und vierten Abschnitt, nur als Frontalangriff gegen Wolters verstehen:
Wo macht ist entsteht freilich neben der echten die unechte anhängerschaft. Jeder wind wirbelt mürbes laub mit und staub. Der neuen botschaft folgen manche … weil sie sich vornehm dünken wenn sie nur wenige sind … Unter die gecken gemischt gewahrt man bei jeder neuen schar die pfaffen, die wortgläubigen eiferer … sie ergreifen die umrisse, nicht die gestalt und sind immer in gefahr im zufall das wesen zu verehren … [Der Führer] bedarf ihrer um den heiligen krieg zu entzünden. Aber fallen müssen sie vor dem sieg: nachher werden sie die pfaffen päpstlicher als der papst, versteinerte hüter des versteinerten grals. 41
Die unechte Anhängerschaft, die, päpstlicher als der Papst, eines Tages einen versteinerten Gral hüten werde: Deutlicher hätte Gundolf im Herbst 1908, als die Beziehung zwischen George und Wolters noch in ihren Anfängen steckte, nicht warnen können. Warum also vollzog George in den darauf folgenden Wochen gegen den Rat seiner engsten Freunde – auch Morwitz und Boehringer lehnten Wolters’ zwanghaftes Pathos entschieden ab – einen so folgenreichen Schwenk und ließ sich mit den »Pfaffen« ein? »Vor der geschichte sind sie nicht umsonst: sie übertreiben und gewöhnen die stumpfen an das äusserste«, hatte Gundolf über die »Narren« geschrieben. Aber genau danach verlangte es George jetzt: nach Übertreibung und Zuspitzung, nach dem »heiligen Krieg«.
3
George muss seinen 40. Geburtstag am 12. Juli 1908, den er mit Gundolf in der Schweiz verbracht hatte, als tiefen Einschnitt empfunden haben. 42 Mit dem Erreichten,
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