Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
schwerste anfängt wann alles vorüber scheint – Dann seid ihr alle so nötig wie je und dann bekommt jeder seinen platz. – Hab mut und komm gut wieder! St.G.« 55 Im Verlauf der Krieges ließ die Intensität vieler Beziehungen naturgemäß nach, nur selten fand sich Gelegenheit zu einem kurzen Wiedersehen. Dann betonte George, wie wichtig es sei, »ungebrochen auszuharren, ohne zu veröden«, weil »erst mit dem Kriegsende die eigentlichen Aufgaben anheben würden«. Als Hans Brasch unversehrt aus dem Krieg zurückkam, war der Faden gerissen. Ein halbes Jahr nach ihrem letzten Treffen in Berlin, am 20. Mai 1919, brachte sich Brasch mit einem ehrerbietigen Brief in Erinnerung: »Erhalte ich einmal ein wort von dir? Hans.« 56 Eine Einladung nach Heidelberg zwei Wochen später bekam er nicht.
Zu denen, die am Vorabend des Krieges mit George in Kontakt gekommen waren und nachher keinen Anschluss mehr fanden, gehörte auch der stark introvertierte Josef Liegle, der mönchische Abschriften im Stil der ottonischen Malschulen fertigte und sich jahrelang in die Platonischen Dialoge vertiefte. Liegle hatte Pech. Als er George im August 1913 über Robert Boehringer kennenlernte, lag das erste Pfingsttreffen gerade drei Monate zurück; ein Jahr später wurde er
einberufen. Er geriet in englische Kriegsgefangenschaft, und als er im August 1919 entlassen wurde, war auch das zweite Pfingsttreffen eben vorüber. Später wollte sich die Vertrautheit der Vorkriegsmonate nicht mehr einstellen, George empfand das Zusammensein mit dem wortkargen Sonderling zunehmend als bedrückend. 57
Auf der Heidelberger Gästeliste fehlten so manche, deren Namen im Zusammenhang mit dem George-Kreis oft genannt werden. Edgar Salin zum Beispiel, der angehende Assistent am Volkswirtschaftlichen Seminar der Universität Heidelberg, bei dem George und Gundolf am Freitag vor Pfingsten zum Essen eingeladen waren. Salin, der ahnte, was ihm entging, musste damit vorlieb nehmen, dass auf dem »Convent der Freunde« ein von ihm verfasster Platon-Aufsatz vorgelesen wurde. 58 Auch andere Freunde Gundolfs fehlten, so Ernst Robert Curtius, dessen bahnbrechendes Buch Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich auf Georges Intervention nicht bei Bondi hatte erscheinen dürfen. Nicht dabei waren Arthur Salz und Erich von Kahler, die 1920/21 eine öffentliche Debatte über den Wissenschaftsbegriff im George-Kreis lostraten. Es fehlte der in diesen Jahren neben Gundolf erfolgreichste Autor aus dem Umfeld Georges, Ernst Bertram, es fehlte der alte Jahrbuch -Kämpe Kurt Hildebrandt mitsamt seinem Schwager Paul Thiersch. Und wo war Karl Wolfskehl? Sein Fehlen musste als ein untrügliches Indiz dafür gelten, dass sich Verschiebungen innerhalb des Freundeskreises abzeichneten. Das Heidelberger Treffen markierte die Wasserscheide.
Wenn überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt von »George-Kreis« gesprochen werden kann, dann jetzt, Pfingsten 1919. In diesen frühsommerlichen Tagen wurde Heidelberg vorübergehend tatsächlich zur heimlichen Hauptstadt eines heimlichen Deutschland. Es gehört zu den Paradoxien der Georgeschen Wirkungsgeschichte, dass ausgerechnet Salin, der wie kein Zweiter ein Leben lang an diesem Mythos gearbeitet hat, beim Fest nicht zugelassen war. Wer dabei sein durfte und wer nicht, bestimmte allein George: nach persönlicher Sympathie und auch aufgrund der Stellung, die dem Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft in diesem Moment zukam.
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Georges Aufmerksamkeit während des Festes richtete sich vor allem auf die drei Novizen: Percy Gothein, Woldemar von Uxkull und Erich Boehringer. Die drei kannten sich nur flüchtig. Noch im Dezember 1918 hatte Morwitz bei George telegraphisch angefragt, ob Uxkull und Boehringer überhaupt in Kontakt miteinander treten dürften. 59 Boehringer studierte Archäologie, Griechisch und alte Geschichte, promovierte 1925 über die Münzen von Syrakus und nahm ab Ende der zwanziger Jahre an den Ausgrabungen in Pergamon teil. 60 Woldemar von Uxkull studierte ebenfalls Altertumswissenschaften und alte Geschichte, 1919 gemeinsam mit Gothein in München, später mit Boehringer in Berlin. Alle drei waren Anfang zwanzig. Obwohl sie vom Temperament her kaum zueinander passten, meinte George, dass sie auf gleicher Entwicklungsstufe ständen und daher eines Tages vielleicht einmal eine Trias bilden könnten.
George sah es gern, wenn seine jungen Freunde im Wettstreit um seine Gunst die Klingen wetzten. Auch wenn keiner der
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