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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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drei im Georgeschen Sinn als »dichterisch« gelten konnte, so hatten doch Boehringer und Gothein deutlich bessere Chancen als Uxkull. Glaubt man den Erinnerungen Thormaehlens, der zwei Wochen vor dem Fest dreißig geworden war und die Einführung der Neuen nicht ohne Eifersucht verfolgte, war Uxkull ein Ausbund an Hässlichkeit. Woldi, wie er von allen genannt wurde, sei ein hoch aufgeschossenes, ungelenk staksiges, strohblondes verwöhntes Bürschchen mit Fischaugen gewesen: »Die Nase stand scharf, keck, mitunter schien sie unverschämt, aus dem Gesicht heraus. Der Mund blieb leicht geöffnet, als käme nicht genug Luft durch die Nase.« Dazu eine fliehende Stirn, zu klein geratene Ohren und ein spitzes Kinn – Thormaehlens Verwunderung, dass so einer in der Nähe des Meisters überhaupt geduldet wurde, ist nicht zu überhören. 61 Eine ähnliche, noch stärkere Antipathie entwickelte Thormaehlen später gegen Gothein.
    Aus altem baltischen Adel stammend und durch seine Mutter, die Schriftstellerin Lucy Ahrenfeldt, mit Vermögen ausgestattet, führte
Woldemar Graf von Uxkull-Gyllenband ein unabhängiges Leben, in dem gesellschaftliche Vergnügungen aller Art für Unterhaltung und Abwechslung sorgten. In der Vorstellungswelt der meisten Freunde war es das Leben eines Beaus. Uxkulls weltmännisches Auftreten wurde als aristokratischer Dünkel ausgelegt, seine Allüren galten als Flucht aus der meisterlichen Welt. In den frühen zwanziger Jahren verlor George das Interesse am »Fürstlichen«, wie er Uxkull mit spöttischem Unterton nannte, und schmollte. »Das einzige Liebesverhältnis, das das Fürstliche kennt, ist das zu seinem Automobil. Er streichelt es sogar.« 62
    Beim Heidelberger Treffen sorgte Ernst Morwitz für große Heiterkeit, als er in Woldis Aufmachung ins Zimmer stolzierte, bekleidet mit dem »modischsten, auf Taille geschnittenen Jäckchen, mit dessen Hütchen auf dem Kopfe, das auch nicht aus der Mode war, und einem Stöckchen unter dem Arme in der närrischen Körperhaltung und mit dem Gange, wie man mittags die Stutzer auf der Tauentzienstraße stolzieren sieht«. Ob Uxkull den Aufzug wirklich »so überwältigend komisch« fand, wie Gothein sich erinnerte? 63 Stellt man die beiden gegenüber, erhält man einen Begriff von der Bandbreite des Jüngertums. Während der selbstbewusste Aristokrat auf fast spielerische Weise mit manchen Zumutungen umging, zermarterte sich der schwerblütige, zur Selbstkasteiung neigende Gothein über der Frage, wie er sich die Liebe Georges verdienen könne.
    Als Gothein am Pfingstsamstag gegen 11 Uhr in einem Straßenanzug auf dem Schlossberg erschien, hatte auch er sich wegen nicht angemessener Festkleidung erst einmal den Unmut Georges zugezogen. Zwar legten die Versammelten keine römischen Gewänder mehr an wie bei den Vorkriegslesungen im Kugelzimmer, aber ein allzu bürgerlicher Habitus war dennoch verpönt. Percy musste nach Hause – Gotheins wohnten auf der anderen Neckarseite -, wo er eine ausgediente bayerische Uniform aus blauem Tuch aus dem Schrank zog, die ihm in diesen Tagen bei George den Beinamen »Blaues« eintrug. Meist rief George den 23-Jährigen während des Festes jedoch »Kind«, eine Anrede, die er aus den Dialogen Platons übernommen
hatte und gegenüber jüngeren Freunden gern verwendete. Als er am Sonntag nach Pfingsten bei Landmanns in Basel eintraf, die ihn für die Sommerferien eingeladen hatten, fragte er, als er aus dem Wagen stieg, höflich, wie er in solchen Dingen war, als Erstes nach den Kindern. Denen gehe es gut, antwortete Frau Landmann. »Gut? Ja, meinen auch.« 64 Das war von Mutter zu Mutter gesprochen und mitnichten ironisch gemeint.
    Auch Erich Boehringer hatte sich umziehen müssen. Er war in diesem Sommer zweifellos derjenige, an dessen Erscheinung George am meisten Gefallen fand. Im Anschluss an das Fest fuhr Boehringer nach Lörrach, wo er das Abitur nachholte, und besuchte von dort in der zweiten Juni-Hälfte George einige Male in Basel. Frau Landmann wurde fast ein wenig neidisch. »Er weiß gar nicht, wie gut er’s hat«, meinte sie zu George, dem solche Bemerkungen gefielen. Zwar leide der Erich darunter, »dass es mit dem Dichten nicht so recht gehen wolle«, antwortete George, aber es müsse ja nicht jeder Gedichte machen. Dem Erich sage er immer: »Du bist ja selbst ein Gedicht, das ist mehr.«
    In seinen Erinnerungen kokettierte Gothein damit, dass er Boehringer um sein Aussehen beneidete. Schönheit galt ja

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