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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Augen.« Wer unter so vielen Mühen so weit ins Innerste vorgedrungen war wie Percy Gothein, hätte in diesem Moment alles getan, um zu beweisen, dass die Meister-Jünger-Beziehung tragfähig war. Nur wer diese Stufe überschritt, gehörte fortan dazu. »Für immer ist von der anderen Welt getrennt«, schrieb einer der Späteren, »wer vor diesem Lager dort – auf dem der Meister zu ruhen pflegte – sich auf die Knie lassen durfte.« 69
    Einen Eid musste keiner ablegen, schon gar nicht in großer Runde, die Bande wurden subtiler geknüpft. Und doch überkam George hin und wieder das Bedürfnis, Treue und Geschlossenheit auch im Plenum einzufordern. Als die Freunde am Sonntagnachmittag in den Georgeschen Bänden blätterten, um die Gedichte auszuwählen, die sie anschließend lesen wollten, habe George plötzlich in die Stille hinein gesagt: »Ihr belügt mich doch alle!« Alle hätten betroffen die
Augen niedergeschlagen, so Gothein weiter, er selber aber sei ganz traurig geworden. Verzweifelt habe er den Meister angeschaut, weil er sich ja nichts habe zuschulden kommen lassen. Da sei der Meister milde gestimmt worden und habe leise hinzugefügt: »Du nicht!« Nach vielen vergeblichen Anläufen hatte Percy seinen Platz an der Seite des Meisters gefunden. Auch wenn die Szene von ihm später wahrscheinlich hinzugedichtet wurde, kam ihm während der Pfingsttage zweifellos eine Vorzugsstellung zu.
    Am ersten Abend durfte Gothein den Sternwandel von Bernhard von Uxkull aufsagen. George hatte ihm in München sein Exemplar geliehen. Da er ihm jedoch verboten hatte, eine Abschrift zu machen, blieb am Ende nur die Möglichkeit, die Gedichte auswendig zu lernen. Mit der Sicherheit des Auserwählten trug Percy sie jetzt in Heidelberg der Festgemeinde vor. Was George als letzten Willen von Bernhard von Uxkull und Adalbert Cohrs weitergegeben hatte – »dass wir die Deutung ihres rätselvollen Tuns selber fänden« -, erfüllte sich. »Beweinst nicht völkertod und gibst kein haar / Für thron und schwert und stirbst für den geliebten«, so endete der Zyklus. 70 Der Krieg war für einen Augenblick tatsächlich Episode geworden. Der Gang durchs dunkle Tor bekam gemeinschaftsprägenden Sinn.

2 Die Deutung des Krieges
    Die fünf Wochen im Juli und August 1919, die George mit Edith Landmann im Berner Oberland verbrachte, taten ihm gut. Es waren unbeschwerte Ferien, die ersten nach Kriegsende. Zwischen 1903 und 1914 war er jedes Jahr im Hochsommer für einige Zeit in den Bergen gewesen, und auch mitten im Krieg hatte sich ein zweimonatiger Aufenthalt mit Landmanns in Klosters einrichten lassen. Für den Sommer 1919 hatte Frau Landmann ein Bauernhäuschen in Matten bei Lenk gemietet.
    Bevor für die andern der Tag begann, pflegte sein Tagwerk getan zu sein. Morgens machte er hier selbst das Feuer auf dem Herd, goss den Tee auf und verweilte dann beim Frühstück in der gemütlichen niederen Stube noch eine ganze Weile dies oder das erzählend. Mittags gingen wir zum Essen ins Hotel; nachmittags nach der Siesta machte man einen mehr oder minder großen Spaziergang. In der Abenddämmerung sah ich ihn oft an das Gitter treten, das den kleinen Garten des Hauses begrenzte, und leise vor sich hinsprechend. Abends saß man wieder in der Stube. So Tag aus, Tag ein. 1
    Es schien kein Thema zu geben, über das George sich nicht gern verbreitete. Er erzählte aus seiner Kindheit, von der heiligen Hildegard von Bingen, von Klages, er sprach über die Frauen, über Zinstheorie und über die drohende Vorherrschaft der Japaner. Er erklärte, wie man Schuhe mit der Ahle näht, und entfernte einen Kirschfleck aus dem Tischtuch; auf alles, was er an Bildung erhalten habe, könne er verzichten, »aber für diese praktischen Kenntnisse sei er dankbar«. Einmal besuchten sie die Besitzerin des Hauses, die mit dem Vieh auf die Alp gezogen war, und beim Abstieg entspann sich eine Kontroverse über die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung: »Wenn der Bauer auch zu unserer Art von Wohlleben gelangt, so fehlt nicht viel, dass Frau Marianne Weber aufs Land hinaus geht und den Bauern
Vorträge über Raffael hält.« Um seine Vorstellung vom Landleben zu illustrieren, erzählte er manchmal die Anekdote von der Bäuerin, die zu der laut in die Stube tretenden Nachbarin sagt: »Pst! Stillsein! Der Bauer schläft in der Kammer. Wir haben heut nacht ein Kind bekommen.« 2
    Am Ende der Ferien, auf dem Rückweg nach Basel, machten George und Frau Landmann einen

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