Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
des dritten Teils. Sie wüssten doch, spricht der Dichter abschließend zu seinen »brüdern«, »Dass was meist ihr emporhebt / Dass was meist heut euch wert dünkt / Faules laub ist im herbstwind / Endes- und todesbereich«. Längst habe sich erwiesen – und die im Mittelteil aufgerufenen Figuren standen hierfür als glaubhafte Zeugen -, dass es neben den Haupt- und Staatsaktionen immer auch eine heimliche Überlieferung gegeben habe und geben werde. Was heute noch »im schützenden schlaf« der Erde stecke, in »tiefinnerstem schacht«, werde den Deutschen einmal die Zukunft weisen. So endet der Sang in der hoffnungsfrohen Erwartung, dass das »Wunder undeutbar für heut / Geschick wird des kommenden tages«.
Obwohl nichts darauf hindeutet, dass das Gedicht vor seiner Publikation die Runde machte, gehörte die Wendung vom Geheimen Deutschland 1924 bereits zum Vokabular unter den Freunden, und zwar mit direktem Bezug zu den Staufern. Im Frühjahr besuchte Kantorowicz die Stauferstätten in Italien. Voller »Scham über die
frühere Blindheit« berichtete er George von seinem permanenten Glücksgefühl, »jetzt an allem Schönen teilzuhaben und es wirklich aufnehmen zu können«. 27 Von Venedig fuhr er die Marken hinunter bis Apulien, durchquerte den Stiefel und setzte nach Sizilien über. Mitte April stand er im Dom von Palermo am Sarkophag Friedrichs II. Ihren krönenden Abschluss fand die Reise Anfang Mai bei der 700-Jahr-Feier der Universität Neapel, einer Gründung Friedrichs II. »Alle Zeitungen sind schon jetzt voll von Hymnen auf den großen Kaiser, der – wie Mussolini (!) – eine Italia imperiale habe errichten wollen – kurz Fr[iedrich] II. wird zum Träger des Faschistentraumes und man schwelgt ›nell’ ombre del Svevo gloriosissimo‹.«
Kantorowicz war nicht der einzige Georgeaner, der dem toten Kaiser im Dom von Palermo die Ehre erwies. In der Osterwoche standen am Sarkophag auch Albrecht von Blumenthal mit seinem jungen Freund Berthold von Stauffenberg und Maria Fehling sowie Erika Wolters in Begleitung Kurt Singers; am Gründonnerstag begegnete Blumenthal im Museum zufällig Erich Boehringer. Alles ströme jetzt nach Sizilien, schrieb der zu Hause gebliebene Morwitz wehmütig an Wolters, auch Berthold und Diana Vallentin seien jetzt unten. Es waren also mindestens neun Personen aus dem Kreis um George – darunter drei Frauen -, die es im April 1924 auf den Spuren der Staufer nach Sizilien zog. 28 Wer von ihnen den Kranz niederlegte, mit dem die Sage vom Geheimen Deutschland letztlich begründet wurde, ist nicht mit Sicherheit auszumachen, am ehesten wohl Erika Wolters. Sie war es auch, die nach dem Besuch Palermos in einem Brief an George den entscheidenden Satz prägte:»Ich suchte Friedrich II. und fand den Meister.« 29
Der erste öffentliche Hinweis auf den Kranz kam aus dem Gothein-Kreis. Percy Gothein hatte, mit der für ihn inzwischen typischen Verspätung, zum Jahresende 1924 ebenfalls in Palermo am Grab gestanden. Ein Jahr danach erschien bei Rudolf Mosse in Berlin eine populär aufgemachte Anthologie Der junge Mann. Wege zur Lebensgestaltung , herausgegeben von Gustav Mittelstraß. Der in hoher Auflage gedruckte Band sollte »Jünglingen um die Achtzehn«
helfen, sich »geistig zu behaupten in einer chaotischen und widerspruchsvollen Zeit«. Der einzige anonyme Beitrag des Bandes trug den Titel »Das geheime Deutschland. Ein Brief an den Freund« und stammte wohl von Wolfgang Frommel, der mit dem Herausgeber, einem Karlsruher Pädagogen, entfernt verwandt war. »Vor kurzem lag am Sarg des großen Kaisers Friedrich II. in Palermo ein goldener Lorbeerkranz, und auf der Schleife stand, dass er vom geheimen Deutschland stamme. Heute darf ich Dir nur sagen, dass das Reich des deutschen Meisters …« Der Beitrag endete mit der dritten Strophe aus »Der Dichter in Zeiten der Wirren« – »und pflanzt das neue reich«. 30
Was das hermetische Gedicht kaum vermocht hätte, den Ruf vom Geheimen Deutschland in breitere Kreise zu tragen, schaffte schließlich Kantorowicz durch die »Vorbemerkung«, die er seinem Friedrich-Buch 1927 mit auf den Weg gab: »Als im Mai 1924 das Königreich Italien die Siebenhundertjahrfeier der Universität Neapel beging, einer Stiftung des Hohenstaufen Friedrich II., lag an des Kaisers Sarkophag im Dom zu Palermo ein Kranz mit der Inschrift: SEINEN KAISERN UND HELDEN / DAS GEHEIME DEUTSCHLAND.« Das also war das Deutschland, das schlafend den Tag seiner
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