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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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zum hundertsten Todestag Goethes von Hindenburg gestiftete Goethe-Medaille.
    Den Februar und März über wohnte George bei Landmanns in Basel, und dort scheint man sich über die bevorstehende Wahl eher amüsiert zu haben. Da der Meister lieber »Kaiser des heimlichen als Präsident des geheimnislosen Deutschland« sein wolle, wüssten sie nicht, wen sie wählen sollten. 22 Hätte George geahnt, wie nah er dem Machtzentrum damals beinah gekommen wäre! Walter Simons, der Vater jenes Jungen, den Percy Gothein als Ersten für George hatte gewinnen wollen, führte als Präsident des Reichsgerichts nach dem Tod Eberts die Geschäfte des Reichspräsidenten weiter, bis ein Nachfolger gewählt war. Als sich die bürgerliche Mitte mit der Rechten nach dem ersten Wahlgang auf den Kandidaten Hindenburg verständigte, bat Reichskanzler Luther aus Sorge vor außenpolitischen Folgeschäden den amtierenden Simons, »sich selbst für den zweiten Wahlgang zur Verfügung zu stellen und die beiden Kontrahenten Hindenburg und Marx zu bewegen, ihre Bewerbungen zurückzuziehen«. 23

    Das Gespräch mit Landmanns zeigt, wie schnell das Bild vom heimlichen Kaiser eines Geheimen Deutschland unter den Freunden die Runde machte. Es stammte aus der Vorstellungswelt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Leute wie Lagarde und Langbehn, aber auch Heine und Hebbel von irgendwelchen verborgenen Kaisertümern des Geistes träumten, die sie am liebsten gleich selber besetzt hätten. »Die Sehnsucht nach dem politischen Kaiserthum ist den Deutschen in Erfüllung gegangen«, schrieb Langbehn 1890, »möge auch das geistige Kaiserthum, wenn es ihnen beschieden ist, nicht allzu lange auf sich warten lassen.« 24
    »Geheimes Deutschland«, das Gedicht, in dem George die Wolfskehlsche Wortprägung von 1910 aufgriff, entstand frühestens im Sommer 1922; erschienen ist es 1928 im Neuen Reich , in dem es schon deshalb auffiel, weil es zu den wenigen bis dahin unveröffentlichten Gedichten gehörte. Es handelt sich um ein formal wie inhaltlich an die späten Hymnen Hölderlins anschließendes langes Gedicht von 102 Versen, das aus drei Teilen von sechs, acht und zwei Strophen zu je sechs Zeilen besteht. Jeder Teil wird mit einem zweizeiligen Anruf eröffnet: »Reiss mich an deinen rand / Abgrund – doch wirre mich nicht!« 25 Im ersten Teil wird der zivilisatorische Wahn geschildert; Maßlosigkeit und Gier, gestützt auf einen grenzenlosen Fortschrittsoptimismus, haben die Lebensgrundlagen des Menschen zerstört. Die Götter hätten jedoch Erbarmen gezeigt und »Neuen raum in den raum« gestellt. Er selber habe damals tief vergrämt am Mittelmeer gelegen, sagt der Dichter, aber eines Tages sei er in der Mittagshitze von einem Pan aufgeschreckt und daran erinnert worden, dass in der Heimat das Ursprüngliche noch zu finden sei.
    Die Eingangsstrophe des Mittelteils erinnert an einen deutschen Archäologen, Hans von Prott, den bei Ausgrabungen in der Ebene von Sparta im Sommer 1903 eine Vision des antiken Urmutter- und Phalloskultes mit solcher Heftigkeit überkam, dass er sich bei der Rückkehr nach Athen in seinem Arbeitszimmer im Archäologischen Institut erschoss; George scheint im Januar 1904 durch Alfred Schuler von dieser in Archäologenkreisen unerhörten Begebenheit erfahren
zu haben. 26 Schuler selbst wird in der folgenden Strophe evoziert: »Unheimlichen schleichens der Dämon.« Die dritte Strophe preist Maximin: »Da stand ER in winters erleuchtetem saal.« In der anschließenden Strophe bekennt Wolfskehl: »Hier fass ich nicht mehr und verstumme.« Nach dem Weltkrieg, der in der fünften Strophe thematisiert wird, lässt George in den Strophen sechs, sieben und acht nacheinander Ernst Glöckner, seinen Vetter Saladin Schmitt und Berthold Vallentin auftreten. Schicksalhaft konfrontiert mit einer höheren Macht, treten alle drei aus freien Stücken ins zweite Glied. Was sie eint, ist der Verzicht. Vallentin, »das hundertäugig allkunde Gerücht«, bekennt als Letzter der Reihe, dass er zwar schon vieles in seinem Leben gesehen habe – »doch solches noch niemals«.
    Aber was sollte Vallentin noch nie gesehen haben? Für Außenstehende musste der Mittelteil des Gedichts mit seinen zahlreichen biographischen Verweisen absolut unverständlich bleiben. Offenbar war hier von der Wiederbelebung antiker Mysterienkulte die Rede, die vorerst aber nur heimlich, im Verborgenen ausgeübt werden konnten. Diesen Verdacht bestätigten die beiden Strophen

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