Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Er könne mindestens eine Woche, vielleicht sogar zwei bleiben. Er habe viel im Jahr der Seele gelesen, schrieb er, »und je klarer das Lebendige vor mir steht, je höher das Menschliche sich offenbart und je eindringlicher die tat sich zeigt, umso dunkler wird das eigene blut, umso ferner wird der klang eigener worte … Meister, ich habe zu viel gelernt aus jenem gedicht: Ihr seid die gründung wie ich jetzt euch preise.« 42 Wer solche Briefe von einem 16-Jährigen erhielt, der ihm zwei-, höchstens dreimal begegnet war, konnte nicht anders, als an die Erfüllung eines Traums zu glauben. Hinzu kam, dass der Junge den Namen Stauffenberg trug und die eigene Person selbstbewusst in die vom Dichter geschaffene
Überlieferung einreihte. In einem Gedicht für Berthold mit dem Titel »Abendland« stellte Claus im November 1923 die Frage, wo blieben
Ruhm und schönheit wenn nicht wir sie hätten
Des Staufers und Ottonen blonde erben 43
George unterstützte diese Sichtweise. Kamen die Stauffenbergs nicht aus Schwaben, jenem Teil Deutschlands, in dem auch die Staufer ihre Erblande hatten, und klang nicht schon im Namen des bis ins 12. Jahrhundert nachweisbaren Geschlechts die Verwandtschaft an? Also bestärkte er sie in dem Glauben, sie seien Nachkommen der Staufer und als solche zu königlicher Herrschaft bestimmt. Die Entdeckung der Stauffenbergs, urteilt ihr Biograph Peter Hoffmann, »löste im Freundeskreis Stefan Georges eine kaum vorstellbare Aufregung aus. Der beziehungsreiche Name, die gleichzeitigen Staufer-Studien des Historikers Ernst Kantorowicz und Georges heimlicher Anspruch auf die geistige Führung Deutschlands tauchten alles in einen mythischen hellen Nebel. Die darin Befangenen hielten ihn für ›schau‹ von großer Klarheit.« 44
Der erste Kontakt war über die Freundin Albrecht von Blumenthals, Maria Fehling, zustande gekommen. Blumenthal, den George beim Pfingstfest als Überraschungsgast präsentiert hatte, lehrte Klassische Philologie an der Universität Jena. Nach dem Scheitern seiner Ehe mit einer Engländerin, die er während seines Studiums als Rhodes Scholar in Oxford 1907-1909 kennengelernt hatte, befreundete er sich Ende 1922 mit Maria Fehling. Die Schwester des Regisseurs Jürgen Fehling, Tochter eines Lübecker Senators und Bürgermeisters, arbeitete nach ihrer Promotion als Volontärin im Archiv des Stuttgarter Cotta-Verlags und war über die Frau des Verlegers mit den Stauffenbergs bekannt geworden. Im Winter 1922/23 machte sie Blumenthal darauf aufmerksam, »dass mindestens zwei der Brüder für den Kreis geeignet sein könnten«. 45
Im Mai 1923 wurden Berthold und Claus durch Blumenthal bei George in Marburg eingeführt. Alexander, Bertholds Zwilling, der immer ein wenig im Schatten seiner Brüder stand, durfte wenige Tage später George ebenfalls kennenlernen. 46 Die Zwillinge hatten gerade
ihren 18. Geburtstag hinter sich, Claus würde im November 16 werden. Ein enge Freundschaft entwickelte sich in den folgenden Jahren zwischen Berthold und seinem Mentor Blumenthal einerseits, Claus und dem fast sechs Jahre älteren Landsmann Kommerell andererseits. Alexander, der sich besonders von Johann Anton angezogen fühlte, war geistig weniger rege und beweglich als seine Brüder; er muss deren Überlegenheit bisweilen schmerzlich verspürt haben, aber er erkannte sie an. Claus sei »ohne Zweifel der strahlendste und heldischste von uns«, gestand er 1928 seiner Mutter, doch »Berthold ist sicher der König unter uns dreien«. 47
So sah es auch George. Er nannte Berthold von Stauffenberg nach einem Prinzen aus Tausend-und-eine-Nacht Adjib, den Wunderbaren, und freute sich, dass die Zugehfrau in der Münchener Wohnung von Johann Anton im August 1924 glaubte, es müsse sich um einen hohen Herrn handeln, möglicherweise um einen Wiedergänger des verstorbenen Bayernprinzen Luitpold persönlich. Zwischen Staufer-Mythos und Volksglaube schillert auch das wohl in diesen Tagen entstandene Gedicht auf Berthold: »Wo du dein herrenrecht an uns geübt / Wir dich bestaunt und gar das volk dich nahm / Für den erstandnen prinzen.« 48 Als Berthold zwei Monate später nach Berlin ging, um sein Jurastudium fortzusetzen, kam er für ein paar Tage bei Thormaehlen unter. »Sein Anblick ließ mir einen Augenblick den Atem stocken«, erinnerte sich Thormaehlen an den Moment, als er dem Unbekannten, dessen Namen er erst nach dem Tod Georges erfahren haben will, die Tür öffnete. 49
Berthold von
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