Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Stauffenberg galt als souverän, urteilssicher und entscheidungsfreudig und dürfte als Typus große Ähnlichkeit mit seinem schwäbischen Landsmann Boehringer gehabt haben; allerdings war er gelassener als dieser, in seiner Ruhe und Beständigkeit eher seinem Rivalen Morwitz, in seinem Auftreten wohl auch Kantorowicz vergleichbar. In größerer Runde wirkte er durch seine Wortkargheit fast ein wenig gehemmt. Dennoch habe George seine bloße Anwesenheit jedes Mal als große Bereicherung empfunden, erinnerte sich Thormaehlen. Er drückte sich ungeschickt aus, meinte aber das Richtige,
als er schrieb, Berthold von Stauffenberg könne nicht als jüngerer Freund Georges gelten, weil an ihm »schon vom Augenblick seines Auftretens an nichts mehr zu bilden« gewesen sei. Für Claus bekam die natürliche Autorität des älteren Bruders durch die Autorität des Meisters zusätzliches Gewicht. »Ich habe herrschaft dir und mir geschworen: / Das wissen das der Meister gab zu kund«, dichtete er 1923 für Berthold. Mit ihm besprach er alle wichtigen Entscheidungen seines Lebens, sein Urteil gab den Ausschlag – auch 1944. Sie habe den Eindruck gehabt, »dass Claus nichts tat, was sein Bruder Berthold nicht wusste und billigte«, erinnerte sich Marion Gräfin Yorck und nannte Berthold »das verkörperte Gewissen seines Bruders Claus«. 50
Nach bestandener Reifeprüfung am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium schrieben sich die Zwillinge im Mai 1923 in Heidelberg für Rechts- und Staatswissenschaften ein. Alexander sattelte auf Altertumswissenschaft um, wurde 1928 promoviert, hielt im Juli 1931 seine Antrittsvorlesung in Würzburg und wurde dort 1936 zum ordentlichen Professor für Alte Geschichte ernannt. Berthold wäre gern in den Diplomatischen Dienst eingetreten, wurde aber nach der Ersten Juristischen Staatsprüfung 1927 im Auswärtigen Amt nicht angenommen. Nach der Referendarzeit wurde Berthold im Januar 1929 promoviert und erhielt am 1. März eine Referentenstelle am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin. Im Sommer 1931 wurde er Mitarbeiter im Verwaltungsstab des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. George, der den Gerichtshof als Werkzeug der Siegermächte von Versailles betrachtete, war offenbar nicht begeistert, und Stauffenberg musste sich manchen Seitenhieb gefallen lassen. Nach Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund im Oktober 1933 verlängerte er seinen zum Jahresende auslaufenden Vertrag nicht und kehrte an sein Berliner Institut zurück.
Der jüngere Bruder schlug trotz seiner Liebe zur Landwirtschaft und zur Architektur die Laufbahn des Berufssoldaten ein. Vier Wochen nach der Reifeprüfung trat Claus von Stauffenberg am 1. April 1926 ins 17. (Bayerische) Reiterregiment in Bamberg ein, dem er bis Sommer 1934 angehörte.
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Im Frühjahr 1924 wurde Marburg als Stützpunkt des Freundeskreises aufgegeben. Wolters hatte eine Berufung nach Kiel erhalten. Weil seine außerplanmäßige Stelle an der Philipps-Universität im Zuge des vom Reich verordneten allgemeinen Personalabbaus wahrscheinlich dem Rotstift zum Opfer gefallen wäre, hatte er sich zu diesem Schritt entschlossen. George, der mit Norddeutschen nicht viel anfangen konnte, gab ihm zu verstehen, dass er ihn da oben nicht so bald besuchen werde. Ein Jahr nach dem Umzug starb plötzlich und unerwartet Erika Wolters. Nachdem ihm vorübergehend seine voreheliche Tochter Imorla den Haushalt geführt hatte, nahm Wolters im Frühjahr 1926 die 19-jährige Gemma ins Haus, die Tochter seiner Freunde Paul und Fanny Thiersch, die er im Jahr darauf heiratete. Trotz seiner Vorbehalte gegen die »Fischaugen« in »Reykjavik« 51 kam George von Herbst 1925 an dann doch regelmäßig nach Kiel. Als zwei Jahre später auch Julius Landmann einen Ruf dorthin erhielt, gewöhnte er es sich an, bereits zu Jahresbeginn ein paar Wochen an der Förde zu verbringen; heimisch wurde er dort allerdings nie, Kiel sei nicht mehr als »eine freundliche Gaststätte an der Grenze«. 52
Nach Abschluss seiner Dissertation im Frühjahr 1924 war auch Max Kommerell nicht länger an Marburg gebunden. Ende April fuhr er nach Berlin, wo eine weitere Operation Georges bevorstand, die letzte; gemeinsam mit Johann Anton kümmerte er sich anschließend darum, dem Patienten die mühsame Genesung zu erleichtern. Auf verschränkten Händen trugen sie ihn ein paarmal ins »Pompeianum«, Thormaehlens Atelier im Dachgeschoss eines Hinterhauses
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