Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
der Neuen Ansbacher Straße, wo sich George bereits während des Krieges gern mit Freunden getroffen hatte. Weil ihm das Treppensteigen jetzt zu beschwerlich war, wurden Verabredungen bald in die Fasanenstraße verlegt, wo ein junger Basler Bildhauer, Alexander Zschokke, zu ebener Erde ein Atelier im Hinterhof besaß. Während die anderen Gedichte lasen, Manuskripte diskutierten oder sich in größerer Runde unterhielten, versuchte Zschokke, der über Wilhelm Stein mit
Thormaehlen und Morwitz bekannt geworden war, Georges Kopf zu modellieren. Schlichte Werkstattatmosphäre hatte George schon immer behagt, alles Handwerkliche war ihm vertraut. »Da saßen oft die zwölf bis vierzehn Männer verschiedensten Alters«, erinnerte sich Zschokke, »alle tüchtig an ihrem Platze, alle bereit, dem Manne zu helfen, dem sie so viel zu verdanken hatten, dem sie aber doch nicht viel mehr sein konnten als der Hintergrund, auf dem sich sein künstlerischer Dämon abzeichnen musste.« 53 Als Ludwig Thormaehlen 1927 in der Albrecht-Achilles-Straße, einer Seitenstraße am oberen Kurfürstendamm, eine kleine Wohnung mit darüber liegendem Dachatelier erwarb, glich er es weitgehend seinem ersten Atelier an. Allerdings musste George jetzt nicht mehr Treppen steigen, sondern konnte mit dem Fahrstuhl bis unters Dach fahren. Den Namen der Straße – sie heißt nach dem brandenburgischen Kurfürsten Albrecht III., der sich Achilles nannte – und die Erinnerung an die Villa der Kaiserin Elisabeth auf Korfu kombinierend, nannte er den Raum »Achilleion«.
Für Kommerell begann eine Phase mehrjähriger Wanderschaft an der Seite Georges. Er war jetzt Sekretär, Quartiermeister, Geliebter in einer Person und organisierte nach Georges Wünschen und Vorgaben die aufwendige Logistik der Nichtsesshaftigkeit. Es ging um so alltägliche Dinge wie die Bereitstellung von Bettwäsche, die Anschaffung neuer Unterjäckchen oder die reibungslose Abwicklung des Briefverkehrs. Freunde, bei denen George regelmäßig einkehrte, verwalteten kleine Depots für ihn: Tabakdepots, Gelddepots, Manuskriptdepots, und immer gab es irgendetwas nachzusenden. Er blieb »zeitlebens ein Wanderer; als er starb, hatte er zwei kleine Segeltuch-Handkoffer bei sich«. 54
Unterstützt wurde Kommerell vor allem von Johann Anton, der nach seiner Promotion im März 1925 nach München zog; er wollte sich beim Auswärtigen Amt bewerben und brauchte noch ein paar Semester Jura. Am 1. Mai 1928 trat er in den »Vorbereitungsdienst für die höhere auswärtige Laufbahn«. Der Außenminister persönlich habe sich für das Thema seiner Dissertation interessiert, schrieb er wenige
Tage nach seinem Eintritt ins Amt an Wolters, und nur deshalb sei er unter fünfhundert Bewerbern ausgewählt worden. Das Thema lautete: Die Wandlungen des Napoleon-Bildes in Deutschland, der Reichsaußenminister hieß Gustav Stresemann. In den Stolz auf seine neue Tätigkeit mischte sich bald Wut über die seiner Meinung nach verfehlte deutsche Außenpolitik. Gut drei Monate nach seinem Eintritt ins Amt erschien ihm die Wilhelmstraße bereits als ein Hort des organisierten Hochverrats. Auch George lehnte die kühl kalkulierte Verständigungspolitik Stresemanns, der Deutschland mit dem Vertrag von Locarno in die Staatengemeinschaft zurückgeführt hatte, als Festschreibung des Versailler Systems ab. In den Gesprächen mit Anton über das Auswärtige Amt dürfte ähnlich argumentiert worden sein wie in den Gesprächen mit Stauffenberg über den Internationalen Gerichtshof.
»Das Reiseziel bestimmt sich augenblicklich und wechselnd nach dem augenblicklich zu Tuenden«, schrieb Kommerell, ein wenig unsicher noch, was das Nomadendasein ihm bringen werde, im Dezember 1924 an seine Lieblingsschwester. 55 Sechs Jahre später notierte er, dass »infolge der ständigen Wohnverlegenheit« viel Druck entstanden sei und das Umherziehen »an die Nerven eines nicht grobschlächtigen den äußersten Anspruch« gestellt habe. 56 Zwar suchte George den dauernden Ortswechsel als »die Zeit der Zelte« romantisch zu verklären. 57 Mit zunehmendem Alter litt er jedoch darunter, seinen Lebensrhythmus den jeweils verfügbaren Unterkunftsmöglichkeiten – und das hieß am Ende auch den ökonomischen Gegebenheiten – anpassen zu müssen. Wenn er bei Freunden wohnte, war er Gast, und den Gastgebern war es eine Ehre, ihn zu beherbergen. Aber sie knüpften an seine manchmal monatelangen Aufenthalte auch stille Hoffnungen auf schöne
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