Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
»Verrat« an Wagner ging, um den »inneren Feind« mit seinen falschen Verspechungen von Demokratie und Fortschritt oder um den Kulturbegriff im Allgemeinen: An zahlreichen Stellen tauchte,
meist ohne Namensnennung, George auf. 67 1926 bedauerte Mann, dass der Vorstoß des Kultusministeriums, George als Gründungsmitglied der Sektion für Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste zu gewinnen, an dessen Weigerung gescheitert war. Und vier Wochen nach Georges Tod hieß es in einem Brief an Bertram: »Ich hoffe im abgekürzten Verfahren Schweizer zu werden und will in der Schweiz begraben sein, wie Stefan George es wollte.« 68
Im Herbst 1924, als sie sich vor Bondis Villa in der Herbertstraße zum ersten und einzigen Mal begegneten, wohnte George bereits ein paar Straßen weiter, im Pförtnerhäuschen an der Koenigsallee. Weder im Haus Bondi noch bei Vallentin, Hildebrandt oder einem der anderen Berliner Freunde hätte er sich mit Kommerell und Anton auf Dauer einquartieren können. Im Herbst darauf bezogen die drei ein Häuschen in der Heimstättenstraße 14 (heute Matterhornstraße 93) in Nikolassee, das sie ein Jahr später, als sie die Fahnen des Kantorowicz-Buches lasen, vorzeitig aufgaben. Ein konkreter Anlass ist nicht bekannt. George fühlte sich in Berlin von Jahr zu Jahr weniger wohl. Anfang 1926 fragte er bei Julius Landmann an, ob es nicht eine Möglichkeit gebe, sich in der Schweiz niederzulasssen. »Bingen sei vorbei, in München finde sich nichts, Heidelberg habe sich zerschlagen, Königstein könne jeden Augenblick aufgegeben werden; am besten sei vielleicht Basel.« 69
Im Haus der Landmanns am Schaffhauser Rheinweg war George Mitte der zwanziger Jahre ein gern gesehener Gast, der meist zum Jahresbeginn anreiste und manchmal drei oder vier Monate blieb. Er liebte das Balkonzimmer im ersten Stock mit Blick auf den Rhein, und wenn er mit seinen Gastgebern oder Besuchern aus Deutschland den Rheinweg entlang spazieren ging, fühlte er sich fast wie in Bingen. Mit Landmanns Umzug nach Kiel im Herbst 1927 gehörte allerdings auch die Idylle an der Basler Riviera der Vergangenheit an. Die Wohnung der Schwester in Königstein im Taunus blieb das einzige sichere Quartier auf Dauer; deshalb wehrte sich George Anfang der dreißiger Jahre heftig dagegen, dass Anna sie aufgab.
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Kommerell, der fast ständig in Georges Nähe war, lernte viel, und er machte es sich zunutze. »Ich glaube, dass ich in den 10 Jahren meines Heranwachsens mehr durchlaufen habe als die meisten in einem langen Leben«, schrieb er resümierend über seine Wanderjahre. 70 Nachdem es wegen seiner möglichen Habilitation Anfang 1925 im Kreis zu einigen Reibereien gekommen war, hatte er auf eine direkte Fortsetzung seiner akademischen Laufbahn zunächst verzichtet. Stattdessen hoffte er, sich mit einem Buch einen Namen zu machen. Was er sich vornahm, klang wie Sphärenmusik aus dem Georgeschen Olymp: die Geschichte der deutschen Literatur im Zeitalter Goethes so zu erzählen, als handele es sich um die Geschichte einer männerbündischen Verschwörung. Er wollte sich den Dichtern weder biographisch noch durch Werkanalysen nähern, sondern vielmehr zeigen, auf welche Weise Einzelne vorbildhaft für die Gemeinschaft der Nation wurden. »Gab es für derart ernsthaftes Studium der Literaturgeschichte eine bessere Schule als die des George-Kreises zwischen 1905 und 1925?« 71
Das Buch, das im Oktober 1928, anderthalb Jahre nach Kantorowiczs Friedrich, auf Wunsch Georges in identischer Ausstattung bei Bondi erschien, trug den Titel Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik . Anders als die Biographie des Stauferkaisers fand es nur wenige Leser und geriet bald in Vergessenheit. Wer es heute zur Hand nimmt, ist fasziniert und befremdet zugleich. »Gäbe es einen deutschen Konservatismus, der auf sich hält«, schrieb der Rezensent der Literarischen Welt , »in diesem Buche müsste er seine magna charta erblicken.« Die Rezension stammte von Walter Benjamin, und sie endete so düster wie hellsichtig: »Ein Mahnmal deutscher Zukunft sollte aufgerichtet werden. Über Nacht werden Geisterhände ein großes ›Zu Spät‹ draufmalen.« Der Unterschied zwischen dem offiziellen Deutschland und dem geheimen sei nämlich kleiner, als die Georgeaner glaubten, die offenbar nicht sehen wollten, dass das geheime »von dem offiziellen zuletzt nur das Arsenal ist, in welchem die Tarnkappe neben dem Stahlhelm hängt«. 72
Benjamin las das Buch
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