Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Gespräche und gemeinsame Unternehmungen; kein Logiergast ist Herr seiner Zeit. George zog Mitte der zwanziger Jahre daher eigene Unterkünfte vor, wo er ungestört mit Kommerell und Anton leben und bestimmen konnte, wen er sehen wollte und wen nicht. Immer häufiger empfand er jetzt das Bedürfnis nach Ruhe; weniger Nomadentum und etwas mehr bürgerlicher
Komfort täten dem Meister gut, meinte Johann Anton. Ein besonderes Augenmerk bei der Quartiersuche galt der Frage, ob genügend Diskretion gewährleistet sei. Wenn es »die örtlichen verhältnisse« angeraten erscheinen ließen, weder »gemeinsam aufzutreten noch mehrtägig«, mahnte George zur Vorsicht. 58
Es waren im Wesentlichen vier Städte gewesen, in denen sich Georges Leben vor dem Krieg abgespielt hatte: Berlin, Bingen, München und Heidelberg. Mit der Ausnahme Berlins waren ihm alle diese Stützpunkte Mitte der zwanziger Jahre abhanden gekommen: Bingen stand unter französischer Besatzung, das Elternhaus war vermietet; seit Wolfskehls 1919 die Wohnung in der Römerstraße aufgegeben und anschließend in der Inflation ihr Vermögen verloren hatten, lag auch München außer Reichweite; in Heidelberg war nach den vielen gemeinsamen Jahren mit Gundolf am Schlossberg die Wohnung im Wolfsbrunnenweg zwar ein willkommener Ersatz gewesen, aber im Januar 1927 zog Kantorowicz nach Berlin, um in der Bibliothek der Monumenta Germaniae Historica den wissenschaftlichen Appendix seines Friedrich-Buches vorzubereiten. George hatte von der Gegensätzlichkeit der Städte – erst Berlin und München, später Berlin und Heidelberg – geistig profitiert. Ohne diesen Dualismus fehlte ihm etwas Entscheidendes. »Berlin sei als Zentrum doch nicht das Richtige.« 59
Von 1915 bis 1922 hatte George jeweils mehrere Wochen im Herbst bei seinem Verleger wohnen können. Bondi hatte ihm unter dem Dach seiner Grunewald-Villa eine Bodenkammer eingerichtet, »eben groß genug um Bett und Schreibtisch hineinzustellen«. 60 George sei »der allerangenehmste Logiergast«, den man sich denken könne, bescheiden, ordentlich und pünktlich, wunderte sich die Dame des Hauses, und der Hausherr fügte hinzu, der Umgang mit ihm sei »immer gemütlich« gewesen. Er habe beim Essen »die feinste Zunge« gehabt und viel von Wein verstanden. 61 Am Sonntagvormittag saßen George und Morwitz manchmal am Tennisplatz, den Bondi auf dem Nachbargrundstück angelegt hatte, und schauten den Spielern zu. 62 Wurden Besucher gemeldet, die er nicht kannte oder die er nicht sehen
wollte, zog sich George in sein Zimmer zurück. Im November 1924 stieß er unter der Haustür mit Thomas Mann zusammen, dessen Frau Katia eine Nichte von Eva Bondi war. »Unheimliche Begegnung mit IHM«, notierte Mann. 63
Obwohl sich George und Thomas Mann von Grund auf unsympathisch waren, beobachteten sie sich gegenseitig aufmerksam und misstrauisch. Im Brennpunkt ihres Interesses stand, nicht zuletzt vermittelt über den Zwischenträger Ernst Bertram, der Umgang des jeweils andern mit der Homoerotik. Während George aus Manns ironischem Versteckspiel nicht recht schlau wurde und seine Haltung als »angeboren unehrlich« bezeichnete, 64 fand Mann das Georgesche Modell durchaus eindrucksvoll. Als er sich 1920 in einem Brief an einen Verehrer erstmals zu seiner erotischen Veranlagung bekannte, verwies er gleich mehrfach auf George, dessen »hohe Strenge und Würde« über jeden Verdacht erhaben sei; niemand könne ernsthaft behaupten, »dass etwa Michelangelo, Friedrich der Große, Winckelmann, Platen, George unmännliche oder weibische Männer seien«. Dass George den Tod in Venedig mit der Begründung abgelehnt haben soll, hier sei »das Höchste in die Sphäre des Verfalls hinabgezogen«, deutete Mann als eine indirekte Bestätigung dafür, dass ihm, Mann, die Darstellung der »verbotenen Liebe« gelungen war. 65 Wie sehr George und Mann in diesem Punkt Antipoden waren, zeigt die empörte Reaktion von Ernst Morwitz, der über die Erstveröffentlichung des Tod in Venedig 1912 in der Neuen Rundschau an George schrieb: »In der Fischer Zeitschrift (Okt/Nov) eine Novelle eines Münchener Herrn – vielleicht siehst Du einmal hinein – müsste sofort totgeschlagen werden – besonders unverschämt, da ganz ernst gemeint.« 66
Spuren eingehender Beschäftigung Manns mit George finden sich sowohl in den Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 als auch vier Jahre später in Manns Vortrag Von deutscher Republik. Ob es um Nietzsches
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