Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
und Werk dieses Dichters in den Kontext seiner Zeit zu stellen, wäre seine Biographie am Ende auch als Abbild einer hypertrophen Epoche zu lesen, die 1933 nicht zufällig in Adolf Hitler ihren Erlöser sah. Dennoch stand für mich von Anfang an fest, dass der Fluchtpunkt, der Punkt, auf den die Beschreibung dieses Lebens zulaufen musste, nicht das Jahr 1933 sein konnte. So wenig sich die deutsche Geschichte auf die Linie Luther – Friedrich – Bismarck – Hitler reduzieren lässt, so wenig war Stefan George der Prophet des »Dritten Reichs«. Walter Benjamin hat am 12. Juli 1933 in der Frankfurter Zeitung klargemacht, dass die Prophetie Georges nicht eine Prophetie der nationalen Revolution, sondern eine des europäischen Untergangs war. Die Zäsur im Leben Georges ist die Zäsur des 20. Jahrhunderts: der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914.
Der Philosoph Manfred Riedel stellte kürzlich in einem Interview die These auf, dass George, wäre das Attentat am 20. Juli 1944 geglückt, heute als »der größte deutsche Dichter« gelten würde. Ich halte solche Spekulationen für wenig ergiebig. Wir leben in einer Welt, die, unabhängig von den sprachlichen Verheerungen des Nationalsozialismus, nichts mit jener Welt zu tun hat, in der George aufwuchs und mit der er sich in seinem Werk auseinandersetzte. Wir haben heute eine völlig andere Vorstellung von »Herrschaft
und Dienst«, von »Gefolgschaft und Jüngertum«, sofern uns die damit verbundenen Vorstellungen überhaupt noch etwas sagen. Vor allem ist unser Begriff von Freiheit ein völlig anderer. »Nicht das macht frei, dass wir nichts über uns anerkennen wollen«, sagte Goethe 1827 im Gespräch mit Eckermann, »sondern eben, dass wir etwas verehren, das über uns ist. Denn indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf und legen durch unsere Anerkennung an den Tag, dass wir selber das Höhere in uns tragen und wert sind, seinesgleichen zu sein.«
Das 19. Jahrhundert hatte diesen Freiheitsbegriff gründlich in Frage gestellt, und hundert Jahre später erschien die Verehrung, die George von den Seinen entgegengebracht wurde, den meisten nur noch als Idolatrie. Dabei ging es im Kreis keineswegs so ehern, steif und streng zu, wie die Öffentlichkeit glaubte. Heute hält es kaum noch jemand für vorstellbar, dass unter den Freunden oft große Heiterkeit herrschte und zumal in den letzten Lebensjahren Georges viel gelacht wurde. Wer die Zeugnisse und Dokumente des Kreises genau studiere, schrieb Karl Wolfskehl im August 1946, werde unweigerlich feststellen, »dass ›die Idee der Freiheit‹ der Stern war, unter dem der Bund stand, focht und litt«. Je länger ich über das Projekt einer George-Biographie nachdachte, desto klarer wurde mir, dass die Suche nach dem verloren gegangenen Freiheitsbegriff das eigentliche Thema war.
Sich auf ein solches Unternehmen einzulassen, hieß, auf Jahre okkupiert zu sein. Auf der Frankfurter Buchmesse 1999 wandte ich mich ratsuchend an den Verleger Karl Blessing, dessen Urteil ich schätzte. Er hörte mir eine Viertelstunde aufmerksam zu, stellte zwei, drei gezielte Fragen und sagte dann: »Das Buch müssen Sie schreiben. Und Sie müssen es für mich schreiben.« Und nach einer kleinen Pause: »Wie viel brauchen Sie?« Welcher Autor hätte in diesem Moment widerstehen können? Auf die ersten hundert Seiten, die ich ihm im Frühjahr 2001 zu lesen gab – ich hatte mit dem Schreiben von Teil III begonnen -, reagierte der Verleger mit deutlicher Zurückhaltung. Erst als ich ihm zwei Jahre später die Rohfassung des ersten Teils schickte, konnte ich ihn überzeugen; er würde das Erscheinen aber gern noch erleben, erklärte er. Als ich Anfang 2005 endlich mit dem zweiten Teil fertig war, hatte er zum Lesen nicht mehr die Kraft. Karl Blessing starb am 12. März 2005 im Alter von nicht einmal 64 Jahren. Ohne ihn würde es dieses Buch nicht geben.
Was ich dem Verleger als Entwurf skizziert hatte und was mir als Ideal vorschwebte, war eine klassische Biographie mit vielen erzählerischen Elementen nach angelsächsischem Vorbild: His Life and Times . Eine George-Biographie, die diese Kriterien erfüllt, gibt es im deutschen Sprachraum bis heute nicht. Die 2002 erschienene amerikanische Studie von Robert E. Norton Secret Germany wird aufgrund ihrer positivistischen Auswertung der Quellen bei unzureichender Kenntnis der historischen und gesellschaftlichen
Zusammenhänge den Anforderungen nicht gerecht. Norton hege offenbar
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