Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Frommel, 4. April 1993. Da es von dem in jeder Hinsicht unsinnigen geheiligten Deutschland akkustisch nur eine halbe Silbe zum geheimen Deutschland ist – ein Begriff, der den genannten Zeugen unbekannt war -, halte ich aufgrund der Indizien das geheime Deutschland nicht nur für die gedachte, sondern auch für die gerufene Version.
5 Friedrich Gundolf: Das Bild Georges, in: Jahrbuch 1 (1910), 42.
6 Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler, München 1978, 26.
Zu diesem Buch
Am Schluss geht es nicht ohne ein persönliches Wort. Seit einigen Jahren führe ich in Berlin eine Agentur für Autoren mit dem Schwerpunkt Geschichte, Zeitgeschichte, Biographien. Im Sommer 1999 fragte mich ein Verleger nach einem potentiellen Autor für eine George-Biographie. Er wisse von meinem persönlichen Interesse an dem Thema, und vielleicht würde ich ein solches Projekt ja auch gern selber übernehmen. Ich hörte mich um, sprach mit diesem und jenem, aber je länger ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde mir, dass ich die George-Biographie, die mir vorschwebte, selber würde schreiben müssen.
Im Alter von 15 Jahren hatte ich Wolfgang Frommel kennengelernt und war von ihm in jenen Amsterdamer Freundeskreis eingeführt worden, der sich über Percy Gothein direkt auf Stefan George zurückführte. Ich erinnere mich gut, wie aufgeregt und stolz ich war, als ich im Sommer 1971 Ernst Morwitz vorgestellt wurde. Von 1974 bis 1984 lebte ich im Haus der Stiftung Castrum Peregrini in Amsterdam und arbeitete an der Seite Frommels in der Redaktion der gleichnamigen Zeitschrift, in der das Erbe Georges mit leidenschaftlichem Ernst verwaltet wurde. 1984 zog ich nach Berlin. Beim Tod Frommels zwei Jahre später zerfiel der letzte geschlossene Freundeskreis im Zeichen Georges in mehrere miteinander rivalisierende Gruppen.
Die ersten Überlegungen, noch einmal über George und seinen Kreis zu schreiben – diesmal von außen -, gehen auf Gespräche mit Ingrid Gilcher-Holtey Ende der achtziger Jahre zurück. Als Mitarbeiterin des Homburger Arbeitskreises war sie mit der Max-Weber-Gesamtausgabe befasst und beschäftigte sich eingehend mit der Rolle der Frauen im akademischen Milieu Heidelbergs um 1910. Was ich zur Entstehung des Heidelberg-Mythos beitragen konnte, waren ein paar Marginalien. Im Laufe unserer Gespräche wurde jedoch deutlich, dass eine die Innensicht des Kreises widerspiegelnde Darstellung genau das empirische Material bereitstellen würde, das Max Weber 1910, als er das Modell der charismatischen Herrschaft zu entwickeln begann, sich gewünscht hätte. Das Webersche Modell ist das einzige, das sämtliche Aspekte des Georgeschen Lebens abdeckt, und zwar sowohl nach innen, was die Selbstwahrnehmung des Dichters, die Strukturen der von ihm geschaffenen Gemeinschaft und deren Verhaltenskodex betrifft, als auch hinsichtlich der nicht unproblematischen Außenwirkung.
Für Weber war der George-Kreis eine künstlerische Sekte, wobei er unter Sekte ganz allgemein einen freiwilligen »Zusammenschluß von spezifisch qualifizierten Menschen« verstand. Nach dieser Definition gehört es zum Wesen einer Sekte, dass zwischen Sektenmitgliedern und Nicht-Sektenmitgliedern jede Verständigung über Glaubensartikel ausgeschlossen ist. So liegt es auch im Fall des George-Kreises. Seine Beschreibung folgt entweder der Innen- oder der Außensicht. Phänomenologisch ist weder auf die eine noch auf die andere Weise viel zu gewinnen. Während sich die Beweisführung der Gläubigen nach bewährtem Muster im Kreise dreht – quod erat demonstrandum -, ziehen manche Kritiker noch heute gegen einen Fetisch zu Felde, der seine magische Kraft bereits vor über einem halben Jahrhundert eingebüßt hat. Der Biograph, der das Leben eines Sektengründers erzählen will, muss die Innen- und Außensicht gleichermaßen berücksichtigen, den historischen Abstand wahren und dennoch die Faszination von einst, das dämonische Wechselspiel von Verführung und Gewalt, nachvollziehbar zu machen suchen.
Als die Idee einer Biographie an mich herangetragen wurde, hatte ich mich 15 Jahre nur noch marginal mit Stefan George beschäftigt. Der Abstand schien mir groß genug. Inzwischen war ich in die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts eingetaucht und auch mit der Geschichte und Vorgeschichte des »Dritten Reichs« einigermaßen vertraut. Aus historischer Perspektive ergaben sich ganz andere Fragen an eine George-Biographie. Wenn es gelingen würde, Leben
Weitere Kostenlose Bücher