Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
nicht ein einziges Mal den Verdacht, schrieb Ulrich Raulff in der Süddeutschen Zeitung , dass er George in die Falle gegangen sein könnte – »in die Falle einer Inszenierung«. Genau hier aber beginnt das Ungemach für den George-Biographen.
Es gibt im Leben Stefan Georges so gut wie nichts, was nicht von vornherein Inszenierung gewesen wäre oder nachträglich für die Inszenierung verwertet wurde. Spuren, die über die Entwicklung seiner Persönlichkeit, sein Privatleben oder auch nur seine persönliche Meinung zu diesem oder jenem Thema Aufschluss hätten geben können, wurden verwischt; George hat Briefe, die ihm wichtig waren, nach Lektüre verbrennen lassen, Korrespondenzen am Ende einer Beziehung zurückverlangt, Vorstufen und Varianten von Gedichten und das sonstige Futter für die Philologen vernichtet. Was nicht Eingang ins dichterische Werk gefunden hatte, gehörte für ihn nicht ans Licht der Öffentlichkeit. Was er übrig ließ, ordnete er in einer von ihm selbst beaufsichtigten, von 1927 an veröffentlichten Gesamtausgabe, deren defensiv abschließender Charakter schon in der Formulierung des Titels »Endgültige Fassung« zum Ausdruck kam. 1930 ließ er sein Leben von Friedrich Wolters als das Leben eines Dichters darstellen, der über historische Bedingungen wie biographische Zufälligkeiten so erhaben war, dass er am Ende genau dem Bild des unumschränkten Herrschers im Reich des Geistigen entsprach, das er früh von sich entworfen hatte.
Wer gegen diese Totalität des künstlerischen Wollens über den Tod hinaus anschreibt, befindet sich in einer schwierigen Situation. Adorno glaubte eine Lösung gefunden zu haben und setzte die These in die Welt, wer George »retten« wolle, müsse ihn von sich selbst befreien: George sei groß, wo er sich bescheide. Anknüpfend an Adornos Diktum, »allem Mythischen gebührt Widerstand«, übte sich ab 1968 eine Generation von Doktoranden in der Kritik am falschen Bewusstsein. Wahlweise wurden die ideologischen Positionen des Werks oder die Werbestrategien des Kreises gegeißelt, und am Ende blieb weder von der Persönlichkeit noch von der Dichtung viel übrig. Die Summe der Aufklärung präsentierte einen machtbesessenen krankhaften Narzissten.
Nach den Regeln der Dialektik könnte eine Biographie Georges allerdings um so ergiebiger ausfallen, je dichter sie am Selbstentwurf dranbleibt, je konsequenter sie Georges eigener Wahrnehmung folgt. Georges Karriere ist die Karriere eines Homosexuellen, der sich selber so nicht definierte und sich weigerte, Homosexualität als gesellschaftlichen Makel zu akzeptieren. Aus dem Widerspruch zwischen groß gefühlten Idealen und der Angst vor Verfemung entwickelte er im Laufe der Jahre eine eigene Weltanschauung, in der die Überwindung des Sexus durch die »übergeschlechtliche Liebe«
als Sieg des »pädagogischen Eros« gefeiert wurde. Das war der Kern, aus dem heraus er seine Obsessionen entwickelte. Er sei sicher, äußerte er einmal im Gespräch mit Sabine Lepsius, »dass die großen Wirkungen in der Welt nur vom Wahnsinn Einzelner ausgehen«. Wie groß seine Außenwirkung tatsächlich war, bleibe dahingestellt. Vergleicht man, was ihm vorschwebte, mit dem, was er am Ende erreicht hatte, kann man sein Leben als eine erstaunliche, noch immer faszinierende Erfolgsgeschichte bezeichnen.
Es sei die große Illusion der Biographik, schrieb Pierre Bourdieu, ein Leben als eine in sich schlüssige Geschichte verstehen zu wollen und zu glauben, die Gesamtheit der Ereignisse dieses Lebens lasse sich von der Wiege bis zur Bahre wie ein Roman erzählen. Weil es weder eine retrospektive noch eine prospektive Logik gibt und die Wirklichkeit unzusammenhängend ist, setzt das Handwerk der Biographik den Aufbau einer überzeugenden, vom »wirklichen« Leben des Protagonisten weitgehend unabhängigen Dramaturgie voraus. Hayden White sprach in diesem Zusammenhang von der »Fiktion des Faktischen«. Nicht, wie es war, sondern wie es gewesen sein könnte, ist das Kriterium.
Der Biograph muss die Personen, die im Leben seines Helden eine Rolle spielten, aus dem Hintergrund langsam heranführen, den Moment abpassen, in dem sie für die Biographie wichtig werden, und sie anschließend wieder abtreten lassen. Auf diese Weise entsteht rund um die Hauptfigur ein Kranz von Nebenfiguren, deren jede ihr Eigenleben hat. In der hagiographischen Erinnerungsliteratur gibt es eine solche Eigengesetzlichkeit nicht, Individualität wird hier
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