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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Schulfreunde Stahl und Rouge und das Festhalten an dem treuen Vasallen Carl August Klein bilden den Spannungsbogen der Georgeschen Biographie in den frühen neunziger Jahren. So wenig George sich der Kritik der ehemaligen Mitstreiter aussetzen wollte, die ihn in seinem Selbstverständnis bedrohte, so sehr enttäuschte ihn auf Dauer der schlichte Helfer an seiner Seite, der außer einem gewissen Organisationsgeschick wenig Talente mitbrachte. Je weniger ihm diejenigen genügten, die zur Verfügung standen, desto mehr richteten sich Georges Wünsche auf den einen Fernen: Hugo von Hofmannsthal. Dieser verkörperte ihm beides, jugendliche Schönheit und Leichtigkeit des Dichtens, und begründete damit Georges Ideal einer von der Poesie getragenen Freundschaft. Über alle Schwankungen und menschlichen Schwierigkeiten hinweg blieb der in jeder Hinsicht Unerreichbare über viele Jahre der Maßstab. Obwohl George wusste, dass keiner unter den Autoren der Blätter auch nur annähernd Hofmannsthals Potential besaß, wurde er nicht müde, sie ihm zu rühmen. Der schnöselige Wiener aber gab mehrfach deutlich zu verstehen, dass er nicht wünsche, mit solchen Minderdichtern auf eine Stufe gestellt zu werden. Einladungen, an Werkstattgesprächen teilzunehmen und die Mitarbeiter persönlich kennenzulernen, schlug Hofmannsthal regelmäßig aus. Hinter »den ganz nichtigen Producten aus dem Dunstkreis der ›Blätter für die Kunst‹«, schrieb er an Hermann Bahr, tue sich »das erschreckenste Nichts, der völlige Mangel an Erfahrung des Geistes und Gemüths, eine unglaubliche bedauernswerthe Leere« auf. 1
    Als George Anfang Mai 1892 nach Wien gereist war, um Hofmannsthal seine Zeitschriftenpläne vorzustellen, muss ihm schnell
klar geworden sein, dass er sich auf ihn als Partner auf Dauer nicht würde verlassen können. Im Grunde war das Projekt für Hofmannsthal nur zweite Wahl; der Tod des Tizian , den er George für die erste Nummer der Blätter übergab, war ursprünglich für die Moderne Rundschau vorgesehen gewesen, die im Dezember 1891 ihr Erscheinen eingestellt hatte. Als sich Hofmannsthal im Sommer 1893 das erste Mal zurückzog, geriet die Zeitschrift prompt in ihre erste Krise. Um die Abhängigkeit von Hofmannsthal erträglicher zu gestalten und ihm gleichzeitig etwas entgegenzusetzen, hob George den wallonischen Dichter Paul Gérardy auf den Schild. Im Frühjahr 1892 hatte ihm dieser auf Empfehlung seines Landsmanns Mockel ein Widmungsexemplar seines ersten Gedichtbands Les chansons naives zukommen lassen. Noch bevor sie sich Ende Juli in Lüttich kennenlernten, war Gérardy von George bereits fest als Mitarbeiter eingeplant. Und nicht nur das. Gérardy sei der notwendige Dritte im Bund mit ihm und Hofmannsthal gewesen, erläuterte George 1913 seinem Biographen Wolters, erst mit ihm sei das Erscheinen der Blätter für die Kunst überhaupt möglich geworden: »tres faciunt collegium«. 2
    Paul Gérardy, am 15. Februar 1870 in einem kleinen Dorf südlich von Malmedy im preußischen Regierungsbezirk Aachen geboren, war nach früher Verwaisung bei einem Onkel aufgewachsen, der auf der anderen Seite der Grenze, im belgischen Lüttich einen Weinhandel betrieb. Nach dem Besuch eines katholischen Internats begann er Philologie zu studieren, brach jedoch, als er volljährig wurde und über eine kleine Erbschaft seiner Eltern verfügen konnte, das Studium ab, um einige Jahre in der Boheme zu leben. Seine Herkunft, seine Sozialisation zwischen den Kulturen und nicht zuletzt sein kämpferischer Einsatz für ein eigenständiges Wallonien boten zahlreiche Anknüpfungspunkte für das Gespräch mit George. Auch George stammte aus einem deutsch-französischen Grenzgebiet, das im Laufe der Jahrhunderte mehrfach den Besitzer gewechselt hatte und nach der Reichsgründung 1871 politisch und kulturell in eine Randlage gerutscht war. Vor dem Hintergrund des alten lothringischen Kulturkreises, in dem sie sich beide verwurzelt fühlten, verloren die nationalstaatlichen
Grenzziehungen des 19. Jahrhunderts ihre Bedeutung. George nannte den neuen Freund aufgrund dieser Gemeinsamkeiten »mir nachbar und kind der Eiffel«. 3
    Für Gérardy rückten die Blätter für die Kunst schnell in den Mittelpunkt seiner literarischen Bemühungen. Vom ersten Heft der Ersten Folge bis zur Siebten Folge 1904 gehörte er zu den fleißigsten Beiträgern. Da er seit seinem 12. Lebensjahr ausschließlich französisch erzogen worden war und es ihm nicht leichtfiel,

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