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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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der »Dreckspoesie« im November 1896 ausgerechnet bei Ida begegnete, war für George ein Schlag ins Gesicht. Dieser habe gerade aufbrechen wollen, als Dehmel gemeldet wurde, so stellte Ida die Szene später dar; »unter der Portiere meines Zimmers« seien die beiden, ohne sich eines Blickes zu würdigen, stumm aneinander vorbeigegangen – »ich lag leidend auf der Chaiselongue«. Das sah nach einem schlechten Drehbuch aus, und George vermutete sofort, dass Ida es auf die »zufällige« Begegnung angelegt hatte. 79 Kurz danach erschien er gemeinsam mit Karl Wolfskehl und überreichte ihr einen Umschlag. Jede Freundschaft sei zerstört, hieß es auf der Karte, die in dem Umschlag steckte, »wenn dem einen etwas gross und edel scheint was dem andren roh und niedrig ist«. 80 Es war Georges letzte Begegnung mit Ida Coblenz. Wenige Tage später ließ er von Karl Wolfskehl eine Abschrift seines neuen, in Vorbereitung befindlichen Gedichtbands bei ihr abholen. Er sollte Annum animae oder Das Jahr der Seele heißen und ihr gewidmet sein.

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    Im März 1898 wurde Leopold Auerbach für zahlungsunfähig erklärt und wegen betrügerischen Bankrotts verhaftet. Ida nutzte die Gelegenheit, endlich von ihm loszukommen. Sie zog in ein kleines Häuschen in Pankow, das durch eine Gartentür mit dem Dehmelschen Grundstück verbunden war. Idas Glück war jedoch stark getrübt, da der »Pankow-Richard« 81 keine Anstalten machte, sich scheiden zu lassen, und überdies seine langjährige Geliebte Hedwig Lachmann in das neue Verhältnis einbeziehen wollte. »Könntet Ihr doch Freundinnen werden«, beschwor er die drei reihum. 82 Erst als Ida im April 1899 mit Selbstmord drohte, knickte Dehmel ein, und nach Erledigung aller Scheidungsformalitäten wurden sie am 22. Oktober 1901 in London getraut. Das Paar zog nach Hamburg-Blankenese. Hier führte Ida fortan jenes ausschließlich Kunst und Literatur gewidmete Leben großbürgerlichen Zuschnitts, von dem sie seit
ihrer Jugend in Bingen geträumt hatte. Das nötige Geld dürfte zu gleichen Teilen aus ihrem väterlichen Erbe, aus dem Scheidungsprozess und aus Dehmels nicht unbeträchtlichen Honoraren gestammt haben.
    Während Dehmel, bei stark nachlassender Produktivität, bald nur noch von seinem früheren Ruhm zehrte, eröffneten sich Ida neue Betätigungsfelder. 1906 beteiligte sie sich an der Gründung eines Frauenklubs zur Förderung weiblicher Kunstinteressen, am Vorabend des Ersten Weltkriegs zählte sie zu den Mitbegründerinnen der »Deutschen Vereinigung für Frauenstimmrecht«. Nach Dehmels Tod am 8. Februar 1920 kümmerte sich Frau Isi – wie sie von ihm genannt wurde – um sein Vermächtnis und betrieb die Gründung einer Dehmel-Stiftung sowie einer Dehmel-Gesellschaft. 1926 rief sie mit einigen Gleichgesinnten den Bund Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen ins Leben, der rasch zum Vorbild für ähnliche Vereinigungen in anderen Städten wurde und ein Jahr später zur Gründung eines überregionalen Gesamtverbandes führte, der unter dem Namen GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen) bis heute die Interessen von Frauen in der Kunst vertritt.
    Durch Dehmels Namen geschützt und dank einflussreicher Freunde überstand Ida die ersten Jahre des Nationalsozialismus einigermaßen unbeschadet. Um dem antisemitischen Wahn zu Hause auszuweichen, unternahm sie 1935/36 zwei große Weltreisen. Als sie im März 1937 zu einer dritten Kreuzfahrt nach Mittelamerika und Westindien aufbrach, fuhr sie über Genf, wo sie Robert Boehringer die Briefe Georges übergab, und besuchte anschließend Karl Wolfskehl in seinem Exil im italienischen Recco. George war das nicht abgeschlossene Kapitel ihres Lebens. Ihr Wunsch, bei Lebzeiten »noch einmal mit Stefan George zusammenzukommen und durch ein herzliches Wort den gesprengten Ring wieder zu schließen«,war nicht in Erfüllung gegangen. 83 »Es beschämt mich alte Frau heute tief, dass ich ihm innerlich so viel schuldig blieb«, schrieb sie anderthalb Jahre nach seinem Tod. 84 Im Gespräch mit Freunden, die ihm nahegestanden
hatten, suchte sie jetzt, gegen Ende ihres eigenen Lebens, nach einer Aussöhnung.
    Im Sommer 1941 setzten in Hamburg die ersten Juden-Deportationen nach dem Osten ein. Wann Ida Dehmel den Befehl zum Abtransport erhalten würde, war nur eine Frage der Zeit. Nachdem sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtert hatte, nahm sie sich, am Ende fast erblindet, aus

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