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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Angst vor allem, was auf sie zukommen mochte, am 29. September 1942 in Hamburg mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.
    Ida Coblenz, die George zu einigen unvergänglichen Gedichten inspirierte, ist an keiner Stelle des Werkes namentlich erwähnt. 85 George hat jede Erinnerung an sie ausradiert. »Geh ich an deinem haus vorbei / So send ich ein gebet hinauf / Als lägest du darinnen tot«, stand als Motto über seinem letzten Gedicht an sie. 86 Endgültiger hätte er den Abschied nicht formulieren können. Der Bruch vom Herbst 1896 war radikal, aber diese Radikalität wird im Laufe seines Lebens immer wieder begegnen, sie gehört zu den Grundzügen seines Charakters. Von Menschen, die ihm jahrelang nahestanden, konnte er sich über Nacht trennen, als hätten sie ihm nie etwas bedeutet. Souverän war in seinen Augen nur, wer das Ende einer Beziehung selber bestimmen und dadurch die Gefahr eigener Verletzungen begrenzen konnte. In der Schlussphase des Machtkampfes zwischen ihm und Ludwig Klages ein paar Jahre später schien es um nichts anderes mehr zu gehen als darum, wer von beiden die Deutungshoheit über das Zerwürfnis erlangte.
    Ein Jahr vor dem Bruch ihrer Beziehung hatte George die langjährige Freundin gefragt, ob er ihr seinen neuen Gedichtband widmen dürfe, über dem »so manche Ihnen bekannte schatten schweben«. 87 Ida sagte es deutlicher. »Ein ganz klein wenig hat es mich doch geschmerzt, dass keine Zeile meinen Namen nennt«, notierte sie nach Erscheinen des Bandes Ende 1897, »da doch jedes Wort für und an und durch mich geschrieben ist.« Besonders in den Traurigen Tänzen erkannte sie vieles von dem wieder, was sie einst mit George verbunden hatte: »Jedes einzelne Wort ist ein Stück von meinem Leben.« 88
Als sie vierzig Jahre später Robert Boehringer in Genf besuchte, nahm sie noch einmal ein Exemplar in die Hand: »Das hätte er mir nicht nehmen sollen.« 89
    Nach dem Zerwürfnis musste Ida Auerbach damit rechnen, dass eine Widmung unterbleiben würde. Dass der Band in der ersten öffentlichen Ausgabe 1898 dann aber einer Person zugeeignet wurde, die nicht das Geringste damit zu tun hatte – »Anna Maria Ottilie / der tröstenden Beschirmerin / auf manchem meiner Pfade« -, hat Ida wohl tief verletzt. Die Schwester Anna George, die in den Jahren, als diese Gedichte entstanden, bestenfalls Botendienste für ihren Bruder hatte verrichten dürfen, war in allem das Gegenteil der eleganten Tochter des Kommerzienrats Coblenz: bieder, frigide, bigott. Die beiden Frauen konnten sich, vorsichtig gesagt, nicht ausstehen. Während Ida als Frau Consul Auerbach in Berlin Karriere machte, hielt sich Anna ein Leben lang an den Kaplan von Bingen. Es sei ihr nun einmal »bestimmt ihr Leben in einem Krähwinkel zu verbringen«, schrieb sie ein halbes Jahr nach Idas Hochzeit an den Bruder und bat ihn um ausführliche Schilderungen des Consul Auerbachschen Hauses. 90
    In der Widmung des Jahrs der Seele die Freundin durch die Schwester zu ersetzen, war mehr als eine subtile Rache. Mit der Apotheose der Schwester, die an die Stelle einer Frau gesetzt wurde, die zur Geliebten nicht hatte werden können, verabschiedete George sich auch von einer Illusion. Der Illusion nämlich, die gemeinsame Begeisterung für die Kunst könnte die ihm fehlende sexuelle Faszination durch die Frau ersetzen. Von nun an ließ er nur noch den schwesterlichen Typus zu, der dienend sich im Hintergrund hielt. Unter den wenigen Frauen, deren Nähe er später suchte – starke, selbstbewusste, meist verheiratete Frauen, die seine sexuelle Disposition stillschweigend akzeptierten -, war keine, die ihn noch einmal aus sich herausgelockt hätte. Die Gedichte an Ida Coblenz aber formulierten in immer neuen Variationen den verzweifelten Versuch, an einer Beziehung festzuhalten, die gescheitert war, noch bevor sie begann. In der Gewissheit des unabwendbaren Endes trieben sie die Trauer über den Verlust bis an die Grenze des Verstummens:
    Es lacht in dem steigenden jahr dir
Der duft aus dem garten noch leis.
Flicht in dem flatternden haar dir
Eppich und ehrenpreis.
     
    Die wehende saat ist wie gold noch,
Vielleicht nicht so hoch mehr und reich,
Rosen begrüssen dich hold noch,
Ward auch ihr glanz etwas bleich.
     
    Verschweigen wir was uns verwehrt ist,
Geloben wir glücklich zu sein,
Wenn auch nicht mehr uns beschert ist
Als noch ein rundgang zu zwein. 91

5
    Schmerzbrüder
    Die Ablehung seines Anspruchs auf Sonderstellung durch die

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