Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
seine Gedichte auf Deutsch zu verfassen, stellte er es George anheim, in den Manuskripten nach Gutdünken Änderungen vorzunehmen und am Ende über die Veröffentlichung zu entscheiden. George seinerseits dichtete in der zweiten Jahreshälfte 1892, durch Gérardys deutsche Versuche angespornt und in der Hoffnung, eine Phase dichterischer Unproduktivität auf diese Weise zu überwinden, einiges auf Französisch. Albert Saint-Paul ließ vorsichtig durchblicken, dass George noch viel üben müsse, bevor er als französischer Dichter gelten könne. 4
George hat die holzschnittartigen Dichtungen Gérardys, der in derbem Ton altertümelnd Folkloristisches mit Motiven der Präraffaeliten zu mischen suchte, eindeutig überschätzt. Mehrfach nannte er ihn in einem Atemzug mit Hofmannsthal, und einmal, im August 1894, rückte er Gérardys Verse in den Blättern sogar vor diejenigen Hofmannsthals (Georges eigene Beiträge erschienen wie immer an erster Stelle). »Hinter uns, Ihnen, Gérardy und mir, den einzigen die einen ton gefunden und festgehalten haben, kommt eine ganze Jugend«, heißt es im Entwurf eines Briefes an Hofmannsthal wohl aus dem Jahr 1897. 5 Auch ermutigte George den Belgier mehrfach, seine deutschen Gedichte in einem eigenen Band herauszugeben, und noch 1903, als der Kontakt längst abgebrochen war, ließ er in einem Verlagsverzeichnis der Blätter für die Kunst das Erscheinen einer solchen Sammlung ankündigen. 6 Erst spät hat er die Bedeutung dieser Gedichte relativiert.
Gérardys besondere Rolle als einer der frühesten Weggefährten Georges veranlasste den autorisierten Biographen Friedrich Wolters
zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen. Am Beispiel Gérardys entwickelte er jenes heilsgeschichtliche Modell, das in der Folge auf alle Freunde Georges Anwendung finden sollte. Nicht die Individualität, die charakterlichen Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen waren demnach für die Beurteilung ausschlaggebend, sondern einzig die Frage, wie er zu Stefan George stand. Gérardy mochte eine etwas unstete, nicht sehr ausgeprägte Persönlichkeit und auch ein mittelmäßiger Dichter sein, aber er hatte sich George vom ersten Tag ihrer Beziehung an vollkommen untergeordnet, und das allein zählte. Es sei wichtig gewesen, formulierte Wolters, »dass Männer von solcher Hingabefähigkeit wie Gérardy in den Bannkreis Georges traten und selbst wenn sie später wieder in eine dünnere Lebensluft zurücksanken, doch in ihren Jugendjahren zu einem menschlichen Aufschwung hingerissen wurden, der sie eine Weile über ihre Natur erhob«. 7 Alle, die Georges Weg kreuzten, wurden von den späteren Höflingen einzig danach beurteilt, inwieweit sie die Bedeutung seiner Mission erkannt hatten.
Wolters konnte die Freunde Georges nur als Statisten sehen. Er betrieb die Kanonisierung, indem er alles ausblendete, was keinen affirmativen Bezug zu George ergab. Was der Meister nicht hatte integrieren können, wischte der Schüler pflichtschuldig beiseite. Auch bestritt er, dass Georges Entwicklung irgendwelchen historischen Bedingungen unterworfen gewesen sei. Für Wolters stand George außerhalb der Zeit, für ihn war er der große Mensch, der von allem Anfang an da war, gekommen, die Welt durch das Wort zu erlösen. Weggefährten und Freunde interessierten ihn deshalb nur unter dem einen Aspekt: wie lange und mit welcher Intensität sie den Glauben an George bewahrten. Auf dem gemeinsamen Stück Wegs, das sie an seiner Seite »schreiten« durften, wuchsen sie über sich hinaus und sanken anschließend zurück in die Bedeutungslosigkeit.
Bei einer dermaßen eingeschränkten Wahrnehmung verwundert es nicht, dass Paul Gérardy in Wolters’ Blätter -Geschichte einen Ehrenplatz erhielt. Er habe George zu einem Zeitpunkt gehuldigt, als noch kaum jemand dessen Bedeutung erkannte. Mit seinem im März 1894
in den Blättern gedruckten Sonett an George sei jene lange Reihe von Bekenntnisgedichten eröffnet worden, »in denen sich Glut und Verehrung bis heute nicht gemindert haben«. Die zweite Strophe dieses recht peinlichen Gedichts – des einzigen übrigens, das Wolters neben einem ähnlich dürftigen des Polen Waclaw Lieder auf den 600 Seiten seines Mammutwerks in voller Länge zitierte – lautet so:
Du Herrlicher singst allein noch die sänge der götter
Aus niederer menge die das schweigen entweiht –
Du wandelst hehr und die ganze freude der götter
Aus deinem mund sich in strahlenden takten befreit. 8
Was George
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