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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sang«: was die anderen nur leise anstreift, das verletzt ihn, den Überempfindlichen bis aufs Blut. Und darum empfindet Stendhal die »Andern«, »les autres«, instinkthaft von Jugend an als den polaren Gegensatz zu seinem Ich, als Angehörige einer fremden Seelenrasse. Dieses Anderssein hat schon ganz früh der kleine linkische Knabe in Grenoble an sich gespürt, wenn er seine Mitschüler in gedankenloser Froheit herumpoltern sah, und noch schmerzlicher hat dies später der frischgebackene Unteroffizier Henri Beyle in Italien erfahren, der, neidisch und hilflos, sie nachzuahmen, die andern Offiziere bewunderte, wie sie die Mailänder Weiber kirre zu machen und großsprecherisch selbstbewußt ihre Säbel zu rasseln verstanden. Aber damals hatte er sich seines Zarterseins, seiner Verlegenheit und Feinfühligkeiten noch als eines männlichen Defektes, als einer kläglichen Minderwertigkeit geschämt. Jahrelang hat er versucht – höchst lächerlich und vergeblich! –, seine Natur zu vergewaltigen, dem lauten Pöbel laut nachzuprahlen, nur um diesen grobschlächtigen Gesellen ähnlich zu scheinen und ihnen zu imponieren. Erst allmählich, sehr mühsam, sehr schmerzhaft, entdeckt der Emotive in seinem unheilbaren Anderssein einen melancholischen Reiz: der Psychologe erwacht. Stendhal ist allmählich auf sich neugierig geworden und beginnt sich zu entdecken. Zunächst konstatiert er nur, daß er anders ist als die meisten, feiner organisiert, empfindlicher, hellhöriger. Keiner ringsum fühlt so leidenschaftlich, keiner denkt so klar, keiner ist so sonderbar gemischt, daß er fähig ist, allorts das Feinste zu fühlen und trotzdem nicht das geringste im Praktischen zu erreichen. Zweifellos, es muß noch andere Menschen dieser merkwürdigen Spezies »être supérieur« geben, denn wie könnte er sonst Montaigne verstehen, diesen herben, grundklugen und für alles Breite, Grobe verächtlichen Geist, wenn es nicht seiner Art gemäß wäre, wie Mozart zu fühlen, wenn nicht gleiche Leichtigkeit der Seele in ihm waltete. So beginnt etwa mit dreißig Jahren Stendhal erstmalig zu ahnen, er sei nicht ein mißglücktes Exemplar Mensch, vielmehr ein besonderes, zugehörig jener seltenen, sehr edlen Rasse der »êtres privilégiés«, die da und dort eingesprengt in den verschiedensten Nationen, Rassen und Vaterländern ihr Vorkommen haben wie Edelsteine in gemeinen Konglomeraten. Er fühlt sich bei ihnen beheimatet (nicht bei den Franzosen, er wirft diese Zugehörigkeit weg wie ein zu eng gewordenes Kleid), in einem andern, unsichtbaren Vaterlande, bei Menschen mit viel feineren Seelenorganen und klügeren Nerven, die niemals sich zusammenrotten zu plumpen Haufen und geschäftigen Klüngeln, sondern nur ab und zu einen Boten in die Zeit senden. Ihnen allein, diesen »happy few«, diesen hellhörigen und feinäugigen, diesen geschwinden Verstehern, die lesen können ohne Unterstreichungen und jeden Wink und Augenblick aus Instinkt des Herzens verstehen – ihnen allein schreibt er, über sein eigenes Jahrhundert hinweg, seine Bücher zu, ihnen allein verrät er in Spiegelschrift die Geheimnisse seines Gefühls. Was schert ihn, seit er endlich verachten gelernt, der grobe lautsprecherische Pöbel ringsum, dem nur dick aufgetragene, grelle Plakatschrift in die Augen fällt, dem nur scharf Überwürztes und schmalzig Gekochtes mundet? »Que m’importent les autres?«, was liegt mir an den andern, läßt er stolz seinen Julien sagen. Nein, sich nicht schämen, daß man in einer derart entcanaillierten, einer so vulgären Welt keinen Erfolg hat; »l’égalité est la grande loi pour plaire«, man muß über den gleichen Leisten gespannt sein, um diesem Pack sich anzupassen, aber Gott sei Dank, man ist ein »être extraordinaire«, ein »être supérieur«, ein einzelner, ein Sonderfall, ein Individuum, ein differenziertes Wesen und kein Herdenhammel. Alle die äußeren Erniedrigungen, das Zurückbleiben in der Karriere, die Blamagen bei den Frauen, die vollständige Erfolglosigkeit in der Literatur, das genießt Stendhal seit der Entdeckung seiner Sonderheit als Beweis seiner Überlegenheit. Sieghaft schlägt sein Minderwertigkeitsgefühl um in hellen Hochmut, jenen herrlich, heiteren und sorglosen Hochmut Stendhals. Mit Absicht hält er sich jetzt immer weiter weg von jeder Gemeinschaft und kennt nur noch eine Sorge, »de travailler son caractère«, seinen Charakter, seine seelische Physiognomie markanter herauszuarbeiten. Nur

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