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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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grauen Vorhängen die weißen Krankenbetten in schmalen Reihen sehen. Auch hier diese schwere Stille. Nonnen mit weißen Hauben gehen leise vorüber. Im Garten draußen aber ein paar Genesende in den langen grauen Spitalsgewändern, ruhende Frauen und ein paar spielende Kinder. Und dazwischen ein paar funkelnde Flecken der sinkenden Sonne. Die Kinder waren nicht sehr laut, doch sprangen sie haschend aneinander vorbei, während die Genesenden mit jener eifrigen Neugier ihnen nachstaunten, die nur das erwachende Leben schenkt. Und als ich hier nach den vielen Stunden stillen Wanderns das helle silberne Kinderlachen hörte, wenn auch widerhallend von den Wänden des Todes, war mir, als sei mir ein Glück geschehen. Eine leise Angst befiel mich, in diese große, grabeskühle Stadt zurückzugehen, deren Symbole mich mit so wundervoller Gewalt umfingen, und ein unendliches Mitleid mit den Menschen, die hier im Dunkel leben und dem Unbegreiflichen entgegensterben. Und selten habe ich so stark die abgenutzte Weisheit der Schulfibeln empfunden, daß der Tod etwas sehr Trauriges sein muß und das Leben eine unendliche Gewalt, die auch den Unwilligen zur Liebe zwingt.

Oxford
    1907
    I ch habe mich wieder einmal von allen Klugen töricht nennen lassen und bin erst nach Oxford gegangen, als die Studenten schon auf Ferien waren. Und wie das nun schon der Törichten Art ist, ich glaube, ich habe recht daran getan. Denn aller Studenten frohe Regsamkeit, die bunte Fülle alter Trachten, die wohlstudierte Pracht feierlicher Aufzüge scheint mir die edle Verlassenheit nicht wert, die nun stumm und unbewegt wie ein traumloser Schlaf die vereinsamte Stadt umfangen hält. Es ist eine helle, fast leuchtende Einsamkeit ganz ohne Trauer und ohne die gleitende Schar düsterer Erinnerungen, wie sie so gern schattenhaft die verlassenen Residenzen, die toten Städte, Brügge, Ypern, Toledo, durchrauschen. Es ist nur Ruhe, schwüle, atmende Sommerruhe, träge Einsamkeit, Schweigen, Schlaf. Und vorsichtig, wie durch eines Schlafenden Raum, geht man von Haus zu Haus, stiehlt sich wie ein Lauscher in die sonnigen Höfe und ängstigt sich fast, wenn der eigene Schritt auf den Steinen hallt. Die bunte Maske studentischen Lebens von den ernsten Zügen gelöst, ruhend in mattem Schlummer, so bietet sich Oxford diesen schimmernden Sommertagen dar, statuenhaft kühl und doch farbig durchtönt, ein sinnvolles Profil, dessen schöne Linien man sich innig zu bewahren versucht ist.
    Für zwei, drei Monate ruht die Stadt so mit geschlossenen Lidern, schweigenden Lippen und stockendem Blut. Spießbürgerliche, provinzlerische Stille ist rings statt der frohen Bewegung vieler junger Menschen, der dreitausend Studenten, die alljährlich aus ganz England hier zusammenströmen. Denn England, das Land der sparsamen Energien, konzentriert seine Kräfte. Sind Portsmouth, Liverpool, Southampton und die anderen großen Hafenstädte die Hände, mit denen der gigantische Organismus seine Nahrung faßt, ist London das unruhig schütternde, ewig tätige Herz, das alle Blutwellen ohne Stauung mit rastlosem Schlag durch seine Adern jagt, so ist Oxford das Hirn Britanniens, die geschulte, denkende Kraft. Oder – phrenologisch genauer – die eine Hirnhälfte; die andere wäre Cambridge. Was seit hundert Jahren durch die Übermacht geschulten Geistes sich Achtung und Einfluß auf allen Gebieten intellektuellen Lebens erzwungen, hat sich über diese Quellen geneigt, die umkränzt sind von der Erinnerung erlauchter Namen. Es ist eine Ruhmesgalerie ohnegleichen, Dichter, Politiker, Gelehrte, Philosophen, Maler, Feldherren – kein Trieb des ewigen Fruchtbaumes menschlicher Vollkommenheit ist hier verkümmert, und mit gleicher Kraft scheint noch der Boden gedüngt wie vor tausend Jahren. Mönche haben in jenen Tagen, da Schrift und Kunst verloren waren, hier zum Schutze des Glaubens Schulen errichtet und sich wie überall Apostaten gezüchtet, eine lange Reihe hartnäckiger Kämpfer, beginnend mit dem Erzketzer Wycliff und durch Jahrhunderte reichend bis zu Shelley, dem streitbaren Atheisten, und Oscar Wilde. Jede Epoche hat sich hier Denkmale gebaut, die wechselnden Werke schöpferischer Menschen und die mehr materiellen hoher, burghafter Häuser für die Studenten, jene Gruppe von Einzeluniversitäten, die – eine Studierstadt in der Stadt – sich organisch zusammenfügen; und es wäre kaum mehr zu sagen, ob sie ein graues Kriegsheer, in engen Staffeln angereiht, inmitten

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