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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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dieser friedlichen Stadt kampiert haben, oder ob sich nicht der bunte Schwarm provinzlerischer Häuser unruhig und leichtbeweglich wie ein Marketenderschwarm um die ernsten Reihen der Schulen geschmiegt hat. Nach und nach sind vierundzwanzig solcher Universitäten geworden (der Begriff des Seminars ersetzt noch am ehesten die Vorstellung dieser »Colleges«, der gemeinsamen freien Vorbereitungsschulen zur Erlangung der akademischen Grade), und nun stehen sich, durch das Alter verschwistert, diese Burgen mit Zinnen und Wällen Aug in Aug gegenüber, wie die Florentiner Paläste der feindlichen Geschlechter. Gerüstete Kastelle scheinen sie, aber ihre Rivalität hat die heroischen Formen der blutigen Scharmützel längst in die geregelten Kämpfe auf dem Cricketfeld und auf den pfeilschnellen Achterbooten verfeinert. Abgegrenzt gegeneinander, verschlossen gegen die Stadt, haben sie ein eigenes, auf Tradition aufgestuftes Recht, eigene, selbstgewählte Lehrer, eigene Führer, eigene Gärten, eigene Kirchen, sie sind fast eine eigene Nation in diesem eigentümlichen Studierstaate. Wie Heroen und Heilige verehren sie in liebevollem Gedenken die großen Männer Englands, die in gleichen Räumen gleiche Wissenschaft empfangen haben, und messen mit Genauigkeit ihre sportlichen Siege. Und zweimal im Jahre löst sich dieser durchaus nicht unsympathische Partikularismus in ein nationales Gefühl; das sind jene Tage, wenn Oxford korporativ gegen Cambridge ficht, die blendenden Sommertage auf der Themse, denen Tausende aus ganz England zuströmen; und dann die entscheidenden Cricketmatches der Schwesteruniversitäten, für die Jahr und Tag mit einer für uns unverständlichen Zähigkeit trainiert wird. Die vielen hundert Boote, die dann wie Libellen auf dem blauen Wasser flirren, die geschwinden Kämpfer wie weiße Funken über den weiten grünen Feldern, und das hellbunte Heer der neugierigen Scharen, Flut und Fülle in den altväterischen Straßen – es mag ein denkwürdiger Anblick sein, sicherlich eines jener unvergeßlichen Bilder froher Menschenfülle; wie sie kein anderes Land so wohlgeordnet, reich und vielfältig zu stellen vermag.
    Aber wunderbar sind auch die Linien der nun träumerisch ruhenden Stadt. Es ist nicht das wirkliche Leben, aber so ganz diese geheime Regsamkeit, die in alten Dingen ruht, diese unfaßbare Sprache, beredter in ihren stummen Gesten als die Stimmen der vielen. Wie das kommen mag? Charles Lamb, der große englische Essayist, hat auch einmal und auch an einem Ferientage in Oxford darüber gesonnen: »Vergangenheit, du wundersamer Zauber, was bist du, die du doch, ein Nichts, alles bist? Als du warst, da warst du nicht Vergangenheit – da warst du nichts und sahst mit blinder Verehrung zurück zur Vergangenheit, wie du sie nanntest; und fühltest dich selbst flach, nüchtern, modern. Was für ein Geheimnis lauert in dieser Rückstellung? Oder was für einhäuptige Janusse sind wir, daß wir nicht mit der gleichen Verehrung nach vorn sehen können, mit der wir ewig zurückblicken? Die wundervolle Zukunft, sie ist uns nichts, die doch alles ist, und die Vergangenheit, ein Nichts, ist uns alles.« Merkwürdig ist es, wenn man, schaudernd berührt von der unbeugsamen hartnäckigen Kraft der schweigenden Dinge, diese Empfindung, nun, da sie nach hundert Jahren selbst schon wieder Vergangenheit ist, an gleicher Stelle im stummen Wort auflebend findet. Denn die gleichen Worte atmen noch aus den grauen Steinen, und es ist, als würden die Mauern sie noch unmeßbare Zeiten reglos zu den Verflutenden sprechen, dauernder wirkend in ihrem Schweigen als die, denen der Klang und die Melodie der Sprache gegeben war.
    Ein wundersam gesänftigter Anblick, dessen Schönheit die Wiederholung nicht ärmer macht, erwartet einen, wenn man eines dieser hohen, drohenden Tore durchschreitet. Da liegt, ganz, ganz still, ein breites grünes Viereck, eine Fontaine sprudelt spielerisch ihren Strahl durch das Sonnenfeuer und plaudert auf in die kirchenkühle unbewegte Luft. Graue uralte Mauern sind die Grenze dieses lichten Bildes, aber über ihre harte Stirn legt üppig wuchernder Efeu schwere Kränze, Ranken klimmen zu den Fenstern empor und greifen mit dunklen Händen manchmal bis an den hohen First. Von den Erkern beugt sich gütig die grüne Umwallung herab und wirft von den schwermütigen Balkonen zitternde Schlingen zum Rasen, blühende Strickleitern, auf denen sich sanfte Brisen schaukeln. Und ein heimliches Leben

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