Stefan Zweig - Gesammelte Werke
ist in diesem dunklen Grün, Blumen durchsticken es mit vielen roten und grellgelb flackernden Farben, und Schwalbengezwitscher leiht ihm eine freundliche Stimme. Rings läuft mit schlanken Säulen ein Klostergang, und klösterlich ist die Stille dieser heißen Junistunden deren leisen Gang eine alte Sonnenuhr sorgsam mißt und manchmal auch der Ruf der nahen Glocken, die jene tiefe melodische Baßstimme des Alters haben. Wie befangen geht man durch diese Höfe, fast unfähig, solche Stille zu fassen, da man in den Ohren noch das wilde Schwingen der Londoner Straßen hat. Und mählich erst fühlt man sie kühlend ins Blut rinnen, atmet sie tief und wollüstig mit gespannten Lungen. Man möchte hier bleiben, ruhen, rasten; aber rechts und links unter den Arkaden locken kleine Türen, dunkle Bogen, und jede schenkt unverhofften Ausblick. Die eine leitet in die fast feuchte Kühle einer uralten Kirche, aus deren Tiefe purpurn der rote Samt eines Altars leuchtet, eine andere hilft rasch auf kleinen Treppen zu den nun stummen Gängen empor, wo sonst die Studenten, Tür an Tür, in hellen freundlichen Stuben wohnen, um deren Fensterscheiben der grüne Schimmer der Ranken flimmert. Da ist ein Gang, der einem die Bibliothek erschließt, in der die berühmten Handzeichnungen des Raffael und Michelangelo bewahrt sind. Und hier wieder ein Stufengewinde den Turm empor, wo der Blick plötzlich das grüne Meer der Stadt umfaßt, aus dem wie graue spitzige Schaumspritzer die vielen Türme und Türmchen aufschnellen. Und biegt man um eine der Ecken dieses viereckigen Hofes, so fällt plötzlich aus dem ruhenden Rahmen einer runden Wölbung ein strömendes grünes Licht, eine glänzende Wiese, wehende hohe Bäume, flirrende Blüten, ein weiter heller Garten inmitten der verwitternden Mauern. Und rechts und links verschachtelt sich so das Gefüge mit anziehender Regellosigkeit in Gänge, Gärten, Stuben, ein bunter Kampf zwischen dem wachsenden Grün und den Bauten, so wunderbar schön, daß man das Zweckmäßige vergißt und sich erst mit Staunen wieder daran erinnert, daß dies ja eine Universität ist und nicht ein verlassenes Kloster, dessen sich die Blumen, die Bäume und das rankende Grün bemächtigt haben. Und dieses hohe, graue, gürtende Gestein, dessen Herbe und Herrischkeit durch die gütigen Girlanden so zart gemildert wird, diese milde Anmut in der Härte scheint wie ein Symbol des Studienlebens in diesen Mauern, das die ruhige versponnene Schönheit der Klösterlichkeit hat und doch nicht deren bindenden Zwang. Von der mönchisch stillen Zelle ist stets ein Blick auf das offene, mit Blumen umfaltete Tor ins Leben hinaus.
So sind alle diese Colleges in den Ferientagen: verlassene Klöster, helle Gärten, leere Taubenschläge im Sonnenschein. Aus allen Zeiten stammen sie, ein Wirrwarr aller erdenklichen architektonischen Stile, verbaut, angestückelt, ineinandergedrängt, ergänzt, restauriert – aber doch, man fühlt keinen Mißklang, denn überall hat die Luft gleicherweise das weiche Gestein grau verwaschen und angebröckelt, und überall klimmt das Grün, die Einzelheiten überdeckend, die Brüstungen geschäftig empor. Und manchmal scheint es, als wären hier diese hohen Burgen nur aus Efeu und schwankendem Gezweig gesponnen, als sei dies nicht ruhender Stein, sondern nur aufgestuftes Gelände, hängende Gärten, flüchtiges Gewebe aus Blüte und Blatt. Die eigene Schönheit der einzelnen Colleges enthüllt sich erst im Innern, in den Räumen und den Gärten. Da ist St. Johns College, ein Bau aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der mit verwitterter Fassade sinnend zu einem breiten Park sich niederneigt. Auf den Bänken da und dort unter dem wiegenden Baldachin der Bäume ein paar Scholaren in ehrwürdiger Tracht, Stille, Sommermittagsstille, überall, nur ab und zu die kecken Koloraturen leise trillernder Vögel. Oder Magdalen College, das schon an der Grenze der Stadt mit seinen Gärten in die heubedeckten Wiesen der Ferne flutet. Kanäle sickern dort wie blaue Adern durch die fließenden Formen und pochen bis an die eiserne Gartentür. Und da ordnen sich die Bäume langsam vom Garten zu einer schmalen Allee in die Fluren hin, und ein stiller Gang – Addisons Walk – hebt an zu diesen ruhenden Feldern am Wasser, das heller Mückentanz überflimmert. Manchmal streift ein Boot vorbei, manchmal ein versprengter Schüler des Colleges. Und langsam geht man diesen Gang fort von den kühlen Mauern, den zackigen Türmen,
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