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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Arbeitszimmer, Speisezimmer, Wohnzimmer und Schlafzimmer in einem, und als ich unwillkürlich betroffen mit dem Blick diese Enge nachmaß, lächelte er das alltröstende »Nitschewo«, »Es macht nichts«, dies sieghafte »Man gewöhnt sich daran«. »Wir sind wenigstens durch einen Holzverschlag von unseren Nachbarn abgesondert.« Schon dies zählt als ein Glück, ein paar Kubikmeter abgesonderter Luft mit den Seinen atmen zu dürfen. Oder ein anderes Beispiel: Ich besuchte Eisenstein, den heute weltberühmten Regisseur des Potemkin-Films, der mir seine neuen (herrlichen!) Arbeiten zeigen wollte. Dieser Meister, der für das russische Können mehr Propaganda geleistet als hundert Bücher, hat ein einziges Zimmer innerhalb einer Gesamtwohnung, Schlafraum, Atelier, Sekretariat, Speisezimmer in einem: ein Tisch, ein Teebrett, zwei Sessel, eine winzige Waschschüssel, ein Bett, eine Bücherkante. Aber auf dem kleinen Tisch liegen ein Dutzend Telegramme, Angebote auf drei Monate nach Hollywood für dreißigtausend Dollars – und doch, sie lassen sich durch Geld nicht weglocken von ihrer Aufgabe, alle halten sie durch, alle kehren sie wieder aufopferungsvoll nach Rußland zurück, in ihre schweren Lebensbedingungen, schlecht bezahlt, gerade nur das Notdürftigste verdienend und schon empfindungslos für alle kleinen Bequemlichkeiten, die uns, ihren europäischen Brüdern, Selbstverständlichkeiten sind. Das ist der großartige Heroismus der russischen Intellektuellen von heute, daß sie, nicht genug gewürdigt, nicht genug gerühmt – weder im eigenen Land noch bei uns – ausharren, weil sie es für ehrlos halten, ihren Posten zu verlassen um besserer Verdienstmöglichkeiten in Europa willen, und dies nur aus dem stolzen Gefühl sittlicher Verpflichtung, aus dem Bewußtsein, daß nichts heute Rußland, dem jetzt Helligkeit und Heiterkeit fehlt, so notwendig ist wie gute Universitäten, gute Schulen und Museen, eine vollendete und volksmäßige Kunst. Und wenn dieses ungeheuerste soziale Experiment, das Rußland unternommen hat und zum Staunen der übrigen Welt jetzt schon durch zehn Jahre allein gegen diese andere Welt durchhält, nicht gescheitert ist, so dankt es dies (man begreift es hier) nur dreierlei: der unerhörten, harten fanatischen Energie seiner Diktatoren, der unvergleichlichen Willigkeit und Geduldkraft dieses leidensgewohntesten aller Völker und nicht zuletzt dem Idealismus und der Aufopferungsfähigkeit der so oft als bürgerlich geschmähten, als zu lau und zu unpolitisch geringgeschätzten russischen Intellektuellen.

Besuch bei Gorki
    A uch Gorki, der sinnlichste Repräsentant des aus der eigenen Volkstiefe emporgestiegenen Rußlands, hat es als seine Pflicht empfunden, während einer so welthistorischen Entwicklung nicht dauernd fern vom Vaterland zu sein. Zwar drängten ihn heftig die Ärzte, nicht den heilkräftigen italienischen Süden zu verlassen und seine labile Gesundheit nicht dem nordischen Klima auszusetzten, aber er ist doch in seine Heimat zurückgekehrt, und zwar gleich zu einer Zehntausend-Kilometer-Reise quer durch das ganze Land. Leider hatten die Ärzte recht behalten: ein Rückfall warf ihn auf das Krankenlager zurück, und so fehlte er bei der Feier und war unauffindbar, unerreichbar. Schon machte ich mich mit dem Gedanken vertraut, Rußland verlassen zu müssen, ohne seinen großen Dichter gesehen zu haben, ohne dem Menschen danken zu können, dem ich persönlich für manches private und öffentliche Wort verpflichtet war, als man mir endlich verriet, daß er in Moskau selbst verborgen sei. Und noch am selben Abend durfte ich ihn sehen.
    Sein Gesicht überrascht, gerade weil man es von Photographien her zu kennen glaubt. Aber alle, die ich gesehen habe, verschatten es merkwürdig ins Düstere, lassen es hart erscheinen, bitter und vergrämt, indes gerade die Helligkeit der erste Eindruck seines Antlitzes ist. Kurzgeschorenes, strohblondes Haar, blasse Brauen über lichtgrauen Augen, ein gelber buschiger Schnurrbart; das Antlitz eines klugen, slawischen Bauern, eines gescheiten Handwerkers, geistig leuchtend und dabei warm und hell wie frischgebackenes Brot. Besonderheit darin nur der stark vorgebaute, hart gemeißelte Stirnbogen; durch diesen vorgetürmten Block bekommt sein Blick Gewalt aus einer Tiefe, eine prachtvolle eindringliche Konzentriertheit. Diese Konzentriertheit, diese sachliche feste Ruhe lebt in jedem seiner mündlichen Worte genau wie in seiner Schreibart – mit

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