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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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durchziehen jetzt in breiten, andächtigen Trupps die Schauräume, und es ist rührend anzusehen, wie vorsichtig, respektvoll sie mit ihren schweren, hochschäftigen Stiefeln über die Parkette schreiten, wie achtungsvoll und lernbegierig sie in Gruppen mit freiwilligen Führern vor den Kunstwerken stehen. Und es ist der größte Stolz der Museumsleiter, der Führer und des ganzen Volkes, daß im Gegensatz zur Französischen Revolution, die kirchenstürmerisch und plündernd ungeheure Werte sich selbst entwendete, die russische (härter sonst und radikaler als die andere) sich und der Welt kein einziges wesentliches Kunstwerk zerstört hat.
    Diese Rettung der musealen Werte in den furchtbarsten Tagen des Umsturzes danken Rußland und mit ihm alle Kunstfreunde der rechtzeitigen Energie einiger Führer, Lunatscharskis vor allem, aber nicht minder der stillen, unscheinbaren und doch heroischen und aufopferungsvollen Arbeit einzelner unbekannter Museumsleiter. Während die Regierung von einer Hand in die andere überging, während die Maschinengewehre auf den Straßen knatterten, haben diese unbekannten Helden, schlecht bezahlt und vergessen, hungernd und frierend, bei zehn Grad unter Null in ungeheizten Räumen diese unermeßlichen Werte gehütet, geschützt, geordnet und der Weltgemeinschaft bewahrt. Niemand kennt, niemand nennt heute die Namen dieser Rührenden und Redlichen, niemand hat noch die Geschichte ihrer Aufopferungen und Entbehrungen erzählt; erst die Zukunft wird ihrer im Tumult des Umsturzes unscheinbar verborgenen Tat für das große Werk dieser Rettung dankbar sein.

Heroismus der Intellektuellen
    D ieser Heroismus der russischen Intellektuellen ist es, was mich am meisten in Rußland bewegt und erschüttert hat. Ein Proletariat, eine geknechtete Bauernschaft von hundertvierzig Millionen ist aufgestiegen zur Macht, hat sich erhöht und befreit. Dieses leidenswillige und fast leidensfreudige Volk hat Entbehrungen unvergleichlicher Art auf sich genommen, Notdurft und Mühsal ohne Ende, aber selbst, wo es heute noch eingeschränkt ist und entbehrt, wird es immer doch gestählt durch das Gefühl seines Aufstieges in höhere Lebenskreise, durch das triumphale Bewußtsein seines proletarischen Sieges. Die Intellektuellen aber, sie sind nicht aufgestiegen in ihren Lebensformen und nicht in eine höhere Freiheit hinein, sondern eher zurückgeworfen in dumpfere, drückendere Daseinsbedingungen, in ein engeres Maß an räumlicher und seelischer Freiheit. Sie zahlen noch immer am vollsten und vielleicht am unbedanktesten den bitteren Zoll dieses Übergangs. Darin liegt an sich keine böswillige Absicht der Regierung, nur ganz naturhaft haben die Verhältnisse sich gegen sie am härtesten gewandt. Sie haben ihnen, die Raum und Ruhe um sich ebenso notwendig wie Nahrung brauchen, eine Geißel erfunden, die wir in den Nachkriegsjahren selber im Fleische gefühlt haben, die Wohnungsnot. Aber hier ist sie nicht Geißel mehr, sondern dreimal geknotete Knute, diese für unsere europäischen Begriffe unerträgliche Wohnungsnot, die den Menscheninhalt eines Waggons in eine mittlere Wohnung hineinpfercht. Fünf Familien an einem Herde und mit einem Klosett sind keine Seltenheit, ein einziges abgesondertes Zimmer und Küche für eine vierköpfige Familie schon ein beneideter Glücksfall. Was Wien in den schweren Jahren bereits als Hölle empfand, wäre hier noch Fegefeuer und für manche fast Paradies. Denn dieses Moskau wächst mit diabolischer Geschwindigkeit; zur Hauptstadt des Hundertvierzigmillionenreiches plötzlich ernannt, vollgedrängt mit Ämtern und dabei gehemmt in seinen Bauarbeiten, preßt die überpferchte Hauptstadt (schon vorher unkomfortabel und unhygienisch in ihren Unterkünften) nun ihre Menschen grausam nahe zusammen, und ganz besonders furchtbar lastet natürlich dieser Druck auf jenen, die für ihre geistige Tätigkeit Raum und Absonderung wie Sauerstoff nötig haben: auf den Intellektuellen. Aber bewundernswert der Gleichmut und die Gelassenheit, mit der all diese Menschen dieses Eingekeiltsein ertragen, noch immer nicht genug bewundert diese unbeschreibliche russische Geduld, die von der Scholle des Volkes bis in die feinsten Verästelungen ihrer geistigen Blüte, bis zu den Intellektuellen und Künstlern kraftwaltend emporsteigt. Ich besuchte einen großen Gelehrten im einzigen Zimmer, das, neben einem zweiten winzigen Räumchen ohne Küche, er und seine Familie zu viert bewohnen, also

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