Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Zagen spricht, den sollt ihr schlagen mit dem Schwert, wer von Flucht redet, den sollt ihr jagen aus den Mauern. Ihr sollt euch nicht rotten auf den Gassen, jeder hüte sein Haus und rüste sich dem Feinde. Auf, Volk Israels, recke deine Kraft und zage nicht, denn ewig währet Jerusalem!
DIE MENGE (wieder ganz im Taumel):
Ewig währet Jerusalem… zu den Waffen… ich hole mein Schwert… auf wider Assur… lasset uns ermannen… auf… zu den Waffen… eilt, eilt… an die Wälle… in die Häuser… wir werden zerschellen ihre Macht… ewig währet Jerusalem!…
(DIE MENGE zerstreut sich in wildem Tumult nach allen Seiten, so daß der ganze Platz frei bleibt und mit einem Male die lärmende Erregung einer grauenhaften Stille weicht.)
(JEREMIAS ist langsam aufgestanden und schreitet mit verhülltem Antlitz die Stufen zum Tempel empor.)
BARUCH (ihm nach):
Wohin gehst du, Meister? Nicht lasse mich, den Getreuen!
JEREMIAS:
Allein muß ich… allein… zu ihm, daß er mich erleuchte… ein Zeichen ließ er mich tun vor dem Volke, und doch, ich glaube ihm nicht, denn, Baruch… ich will es nicht glauben, daß Gottes seien in mir die Gesichte, daß Gottes sei dieser schreckhafte Wahn… oh, daß es Gebrest nur wäre meines Hirns und nicht Botschaft seines Geistes… Denn wehe, wär ich erwählet als Künder und wahr meine Träume… wehe…
BARUCH:
Du bist erwählet, Meister, ich hab es erschauet in dieser Stunde. Ein Zeichen hat dich bezeugt, ein Zeichen von Gott! Der Geist der Profeten ist über dir und ihre Gewalt!
JEREMIAS (die Stufen empor, gleichsam fliehend vor ihm, mit abwehrenden Händen):
Nicht sage, daß ich erwählet sei, nicht versuche mein Herz! Es darf nicht wahr werden mein Wort, es darf nicht wahr werden um Israels, um Jerusalems willen. Oh, lieber der Verlachte und Verhöhnte sein des Volkes, denn der Erfüller solcher Schrecknis! Lieber Lügner und Narr, denn dieser Wahrheit Profet! Lieber ich, denn die Stadt dein Opfer, Herr! Möge ich stürzen ins Dunkel der Vergängnis, wenn nur leuchten deine Zinnen, Jerusalem! Mögen vergehen meine Worte wie Rauch, wenn du nur dauerst, du ewige Stadt, möge Gott meiner vergessen, wenn er nur deiner gedenket! Oh, ich will knien vor seinem Altare, daß er zerschlage das Wort in meinem Munde, ich will beten auf meines Herzens Knien, daß er verstoße meine Verkündung und, Baruch – bete, bete mit mir, daß ich als Lügner erfunden werde an Jerusalem!
(JEREMIAS steigt demütig die letzten Stufen empor und tritt mit gebeugtem Haupte in die Vorhalle des Tempels. Baruch verharrt regungslos und sieht ihm nach, bis er verschwindet.)
IV. Die Wachen auf dem Walle
»Und des Herren Wort geschah zu mir und sprach: ›Wenn ich ein Schwert über das Land führen würde und das Volk im Lande nähme einen Mann unter sich und machete ihn zum Wächter, und er sähe das Schwert kommen und warnete nicht das Volk, und das Schwert käme und nähme etliche weg, deren Blut will ich von des Wächters Hand fordern.‹«
Hesekiel XXXIII, 1.
Auf der Umwallung Jerusalems. Die Mauern, breite, behauene Quadern, laufen als Straße rings um die Stadt. Rückwärts der sternenbesäete Himmel und dämmerig fern das Tal mit Lichtern und ungewissen Flächen. Strahlendes Mondlicht kleidet die Wälle wie blinkendes Erz.
Auf den Mauern schreiten zwei Krieger die Wache auf und ab. Ihre Gesichter sind verschattet von den Helmen, auf ihren Lanzen schimmert das Mondlicht.
Einige wenige Neugierige haben sich trotz der nahen Mitternachtsstunde auf die Mauer gewagt und spähen in die ungewisse Ferne.
EINE FRAU:
Es ist Schlafenszeit. Füll dir nicht das Herz mit Bangnis. Frühe genug siehst du sie morgen, die Verfluchten. Komm schlafen, es ist vielleicht das letzte Schlafen in Stille.
EIN MANN:
Wie schlafen können, wie schlafen, da sie wach sind, unsere Feinde, wider uns! Schwerer denn Blei ward mir das Herz, seit ich hier stehe, und kann doch nicht fort – wie in einen Abgrund muß ich starren in die Flut, die aufsteigt, uns zu schlingen! Von Mitternacht kamen die Reiter und dann von Abend her, immer meinte man, es müsse zu Ende sein, und immer zogen ihrer noch mehr, als wären Länder ausgeschüttet wie Korn und die Lanzen wie Halme gesäet.
EIN ANDERER:
Schon haben sie Zelte gespannt, ein weißer Wald ist aufgestanden im Tal.
EIN ANDERER:
Wehe, sie wollen verweilen.
EIN ANDERER:
Wie der Wind müssen sie gekommen sein. Gestern waren ihre Reiter noch in Bethul, und heute
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