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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Binnenlande ein gesundes Gegengewicht gegen die rasch aufgeblühte, aber auch rasch abwelkende, ständig den Schwankungen des Weltmarkts unterworfene Tropenwelt des Nordens. Und immer zielbewußter wird dieser Wille Brasiliens, aus einer bloßen Lieferungsstelle kolonialer Produkte ein sich selbst erhaltendes Land zu werden, ein sich nach eigenen Gesetzen entfaltender Organismus statt eines bloß abgelegten Schößlings seines Mutterlandes.
    An der Schwelle des achtzehnten Jahrhunderts ist Brasilien wirtschaftlich bereits eine erträgnisreiche Kolonie, die für die portugiesische Krone im gleichen Maße wichtiger wird, als sie von ihrem einstigen indischen und afrikanischen Weltreich eine asiatische Kolonie nach der andern an die Holländer und Engländer verliert. Vorbei sind für Lissabon die goldenen Zeiten, wo, wie die Chronisten erzählten, der Tag meist nicht ausreichte, um die einströmenden Zolleinnahmen aus dem Indienhandel zu zählen und zu verbuchen. Brasilien aber ist schon im siebzehnten Jahrhundert kein Passivposten mehr für Portugal und längst vergessen die Nöte des Anfangs, wo flehend der Gouverneur um jeden Cruzado und Nóbrega in Lissabon um ein paar abgelegte Hemden für seine Täuflinge betteln mußte. Die Brasilianer sind gute Lieferanten, sie füllen die portugiesischen Schiffe mit kostbarer Ware, sie erhalten aus eigenem Gewinn die portugiesischen Beamten, und die Zolleinnehmer schicken bereits stattliche Summen an die königliche Kasse nach Portugal hinüber. Aber die Brasilianer sind außerdem auch gute Käufer und Besteller; manche dieser Zuckerkönige haben mehr Geld und Kredit als ihr eigener König, und für seine Weine, seine Textilien, seine Bücher hat Portugal unter all seinen Kolonien kein besseres Absatzgebiet. In aller Stille ist Brasilien eine große und ständig prosperierende Kolonie geworden und zugleich die Kolonie geblieben, die Portugal das wenigste Blut gekostet, die geringsten Belastungen bringt und am wenigsten Investitionen fordert. Weder in Bahia noch in Rio de Janeiro noch in Pernambuco sind große Garnisonen erforderlich, um die Ordnung zu erhalten. Die Bevölkerung steigt ständig mit den Jahren und hat nie, abgesehen von einigen kleinen Tumulten, eine ernstliche Auflehnung versucht. Es ist nicht nötig, kostspielige Festungen zu bauen, wie in Indien und Afrika, oder Geld für neue staatliche Investitionen hinüberzuschicken; längst verteidigt, längst erhält sich dieses Land aus eigener Kraft.
    So läßt sich keine bequemere Kolonie erdenken als Brasilien mit seinem stillen, ständigen Wachstum, seiner bescheidenen – und fast möchte man sagen: lautlosen – Entwicklung, die sich fast unbemerkt von der übrigen Welt vollzieht. Es ist nichts in diesem Land, das still und ständig nach innen wächst und nach außen bloß Zucker produziert oder Tabak in großen braunen Ballen an die Handlungskontore verschickt, was auf die Phantasie oder auch nur die Neugier Europas stimulierend wirken könnte. Die Eroberung Mexikos, die Goldkammern der Inkas, die Silbergruben von Potosi, die Perlen des Indischen Ozeans, die Kämpfe der amerikanischen Farmer mit den Rothäuten, die Kämpfe mit den Flibustiern des karibischen Meers lockt die Dichter und die Chronisten zu romantischen Erzählungen und fasziniert den nach Abenteuern ständig ausspähenden Unruhegeist der Jugend. Brasilien dagegen liegt Jahrzehnte, ja eigentlich zwei Jahrhunderte lang im Schatten der Weltaufmerksamkeit. Aber gerade diese lange Verborgenheit und Abseitigkeit war im letzten Brasiliens Glück. Nichts ist seiner ruhigen, organischen Entwicklung förderlicher gewesen, als daß seine münzbaren Schätze, daß sein Gold, seine Diamanten bis zum Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unentdeckt unter der Erde lagen. Wäre dieses Gold, wären diese Diamanten im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert schon gefunden worden, so hätten die großen Nationen in einem rasenden Wettkampf auf diese Beute sich gestürzt. Von Peru, von Venezuela, von Chile wären die Rotten der Conquistadoren unaufhaltsam hereingebrochen, Brasilien wäre zum Schlachtfeld geworden aller schlimmen Instinkte, aufgewühlt, zerrissen und zerstückelt. Aber 1700, da Brasilien sich mit einem Schlage als das reichste Goldland der damaligen Welt offenbart, ist die Zeit der Abenteurer und Conquistadoren, der Villegaignons, der Walter Raleighs, der Cortez, der Pizarros schon endgültig vorbei, die wilde, nie mehr wiederkehrende Epoche des

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