Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Nóbrega und Anchieta ins Land kommen, fehlen außer der Erde, die niemand bebaut, außer den Eingeborenen, die noch nicht wissen, sie zu bebauen, die bindenden und verbindenden Kräfte. Nichts ist vorhanden, alles muß erst über das Meer gebracht werden, jedes Stück Vieh, jede Kuh, jedes Kalb, jedes Schwein, jeder Hammer, jede Säge, jeder Nagel, jeder Spaten, jeder Rechen und dazu noch die Pflanzen und die Samen, und dann erst müssen mühselig diese nackten und kindlichen Wesen gelehrt werden, wie zu pflügen, wie zu ernten, wie Ställe zu bauen für das Vieh und wie das Vieh zu behandeln. Ehe sie sie noch recht belehren können, Christen zu werden, müssen die Jesuiten die Eingeborenen zuerst in der Arbeit unterweisen und, ehe mit den Grundbegriffen des Glaubens, sie mit dem Willen zur Arbeit durchdringen. Was für die Jesuiten in der Ferne ein geistiger Plan größten Stiles gewesen, verwandelt sich zu einer kleinen und mühsamen Geduldsarbeit, wie sie nur die disziplinierte Kraft von Männern, die ihr ganzes Leben an eine Idee verschworen haben, durchzusetzen vermag: die Zivilisierung des Menschen durch die Kultivierung der Erde; nichts von alledem, was diese ersten Lehrer mit sich bringen an Büchern und Medizinen und Werkzeugen und Pflanzen und Tieren, ist von solcher belebender und tonischer Kraft für die Entwicklung gewesen als diese starre und doch glühende Energie dieses Dutzends Menschen. Rasch wie alles in Brasilien – wachsen und entfalten sich diese ersten aldeias, diese jungen Siedlungen, und mit gerechtem Stolz können die Jesuiten bald in ihren Briefen berichten, wie glücklich diese Bindung sich erfüllt, die Bindung der Erde mit den Menschen und die Mischung zwischen Weißen und Eingeborenen zu einem neuen tätigen Geschlecht. Schon glauben die Väter ihr Werk gelungen; São Paulo, erst die Stadt und dann die Provinz, besiedelt sich, immer weiter ins Land greifen die aldeias aus. Aber die eigentliche Eroberung des Landes wird nicht auf dem stillen, friedlichen und planhaften Wege vor sich gehen, den sie vorausgesehen, sondern auf einem anderen Weg. Immer liebt die Geschichte, wenn sie eine Idee erfüllen will, von dem vorbereiteten Menschenplan abzuweichen und ihren eigenen Weg zu gehen, und so auch diesmal. Die Jesuiten haben ein junges Geschlecht auf dem Boden angesiedelt mit dem Vorsatz, sie sollten ihn bebauen. Aber schon die neue Generation der Mamelucos, der Mischlinge, bricht aus den Grenzen, die die frommen Väter gesetzt haben, ungeduldig vor. Noch ist die nomadisch schweifende Lust ihrer braunen Voreltern und anderseits die zügellose Wildheit der ersten Kolonisten in ihrem Blut lebendig. Warum die Erde selbst bebauen, statt sie von andern, von Sklaven bebauen zu lassen? Bald werden die Halbbraunen die schlimmsten Feinde der Braunen, die Söhne der Eingeborenen, deren Väter die Jesuiten vor dem Sklaventum gerettet, die grimmigsten Sklavenhändler, und gerade in São Paulo, das die Jesuiten als eine Stelle der sittlichen Reinheit und der geistigen Einheit erträumt, entsteht das neue Conquistadorengeschlecht, die Paulistas , die bald die bittersten Feinde der Jesuiten und ihrer kolonisatorischen Bemühungen werden. Zusammengerottet zu einer kriegerischen Truppe, durchziehen diese bandeirantes (merkwürdig den afrikanischen Sklavenjägern ähnlich) auf ihren entradas das Land, zerstören die Niederlassungen, rauben sich Sklaven, nicht nur aus dem Urwald, sondern auch von Scholle und Pflug, und doch erfüllen sie – nur rascher und brutaler und gewalttätiger – das jesuitische Prinzip des radial nach allen Seiten Vordringens. Von jedem dieser zerstörenden Züge bleiben einige Paulisten an den Wegkreuzungen zurück, es bilden sich Niederlassungen und sogar Städte im Rücken der mit Tausenden von Sklaven heimkehrenden Raubtruppen. Der fruchtbare Süden beginnt sich mit Menschen und Viehstand zu beleben, der Typus der vaqueiros , des Viehzüchters und des gaucho formt sich heraus neben dem trägeren und gemächlicheren des Küstenmenschen, der Mann des Binnenlandes, der Mann mit einer wirklichen Heimat. Die erste der großen Innen-Immigrationen mit ihrer ausgleichenden und bindenden Wirkung hat eingesetzt, halb durch den Plan der Jesuiten, halb durch die Gier der Paulisten, das Gute und das Böse schaffen in scheinbarer Gegenwirkung und doch tieferer Verbundenheit an einem gemeinsamen Werk. Im siebzehnten Jahrhundert bilden schon Landwirtschaft, Viehzucht und Ackerbau im
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