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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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selbstverständlich gewährt, ist hier noch aufzubauen, die Museen, die Bibliotheken, der durchgreifende Bildungsapparat; noch hat es der junge Künstler, der junge Schriftsteller, der junge Gelehrte, der Student hier hundertmal schwerer als in den besser dotierten und besser organisierten Lehranstalten Nordamerikas, sich Überblick und universelle Kenntnisse anzueignen. Noch spürt man hier manchmal eine gewisse Enge und anderseits Ferne von den aktuellen Bemühungen unserer Zeit, noch ist das Land nicht seiner eigenen Proportion entsprechend entwickelt, noch wird jeder Brasilianer ein Jahr Europa oder Nordamerika als die richtige letzte Stufe seiner Studien empfinden, noch hat Brasilien trotz allen und allen unseren Torheiten von unserer alten Welt Auftrieb und Antrieb zu empfangen.
    Aber anderseits hat auch der Europäer, der zu kürzerem oder längerem Besuch landet, schon viel hier zu lernen. Er begegnet einem anderen Raumgefühl, einem anderen Zeitgefühl. Der Spannungsgrad der Atmosphäre ist ein geringerer, die Menschen freundlicher, die Kontraste weniger vehement, die Natur näher, die Zeit nicht so überfüllt, die Energien nicht so bis zum letzten und äußersten gespannt. Man lebt hier friedlicher, also menschlicher, nicht so maschinell, nicht so standardisiert wie in Amerika, nicht so politisch überreizt und vergiftet wie in Europa. Dadurch, daß Raum ist um den Menschen, stößt nicht einer so ungeduldig mit dem Ellbogen gegen den andern, dadurch daß Zukunft ist in diesem Lande, ist die Atmosphäre unbesorgter und der einzelne weniger bekümmert und erregt. Es ist ein gutes Land für ältere Menschen, die schon viel von dieser Welt gesehen haben und nun in einer schönen, friedlichen Landschaft Stille und Zurückgezogenheit begehren, um all das Erlebte zu überdenken und auszuwerten. Und es ist ein wundervolles Land für junge Menschen, die ihre noch nicht ausgewerteten Energien in eine noch nicht ermüdete Welt bringen wollen, die noch restlos und freudig sich hier einpassen können und mitarbeiten an Entwicklung und Aufstieg. Von allen, die in den letzten Jahrzehnten aus Europa kamen, ist kaum einer zurückgekehrt; denselben Völkern, die heute sich jenseits des Ozeans sinnlos bekämpfen, ist hier eine gemeinsame Heimat des Friedens geworden. Und sollte – dies der glücklichste Trost in manchen Augenblicken unserer Verstörung – die Zivilisation unserer alten Welt sich wirklich in diesem selbstmörderischen Kampf vernichten, so wissen wir, daß hier eine neue am Werke ist, bereit, all das, was bei uns die edelsten geistigen Generationen vergeblich gewünscht und erträumt, noch einmal zur Wirklichkeit zu gestalten: eine humane und friedliche Kultur.

Rio de Janeiro
    V or fast vierhundert Jahren, 1552, schreibt Tomé de Sousa, da er in Rio landet: Tudo é graça que dela se pode dizer . Man kann es eigentlich nicht besser ausdrücken als dieser rauhe Kriegsmann. Die Schönheit dieser Stadt, dieser Landschaft läßt sich wirklich kaum wiedergeben. Sie versagt sich dem Wort, sie versagt sich der Fotografie, weil sie zu vielfältig, zu unübersichtlich, zu unerschöpflich ist; selbst ein Maler, der Rio in seiner Gänze darstellen wollte mit all seinen tausend Farben und Szenen, käme in einem einzigen Leben nicht zu Ende. Denn hier hat die Natur in einer einmaligen Laune von Verschwendung von den Elementen der landschaftlichen Schönheit alles in einen engen Raum zusammengerückt, was sie sonst sparsam auf ganze Länder verteilt und vereinzelt. Hier ist das Meer, aber Meer in allen seinen Formen und Farben, grün anschäumend am Strand von Copacabana von der unendlichen Ferne des Atlantischen Ozeans, bei Gêvea wieder grimmig aufspringend an einzelnen Felsen und dann wieder in Niterói glatt und blau an den flachen Sandstrand sich schmiegend oder die Inseln zärtlich umschließend. Da sind Gebirge, aber jeder Gipfel und Hang anders geformt, schroff, grau und felsig der eine, umgrünt und weich der andere, spitz gestellt der Pão de Açúcar und wie von einem gigantischen Hammer flach geschlagen die Höhe von Gêvea, hier zerrissen und zerzackt die Bergkette des Dedo de Deus, des Fingers Gottes. Jeder seine eigene Form eigenwillig bewahrend und doch alle in brüderlichem Kreise sich verbindend. Da sind Seen wie die Lagoa Rodrigo de Freitas und der von Tijuca, die die Berge, die Landschaft und gleichzeitig die elektrischen Linien der Stadt spiegeln, da sind Wasserfälle, kühl und schäumend aus den

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