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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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verwegen genug, das Luxushotel von einst ist bereits zum Abbruch verurteilt, und an seiner Stelle soll ein zweiunddreißig Stock hoher Bau errichtet werden, die sechsstöckigen Häuser setzen entweder neue Stockwerke auf oder werden völlig umgestaltet; was vor dreißig Jahren mächtig und sogar monströs erschienen, wirkt heute klein und im Stil antiquiert und altmodisch. Die Oper, ganz in den Schatten gedrängt, kann ihre Proportionen nicht mehr entfalten, das Kunstmuseum und die Bibliothek haben ihre Superiorität verloren, und wie bei den Pariser Innenboulevards, der Berliner Friedrichstraße, der Londoner Regent Street beginnen die Luxusgeschäfte vor dieser wilden Betriebsamkeit sich in stillere Nebengassen zurückzuziehen. Die Prunkstraße ist heute nicht viel mehr als die obligate Verkehrsstraße und Durchgangsstraße ohne besonderes Cachet und ohne künstlerische Persönlichkeit; gerade was ihr als Charakter zugedacht war, die Vornehmheit, ist verloren, weil sie heute einzig der Zeit zu dienen sucht und ihr doch nicht mehr genügt.
    Um ihren immer mächtigeren Rhythmus voll entfalten zu können, brauchte die Stadt darum neue und breitere Boulevards außer diesem einen, und sie schafft sie sich in ihrer ständigen Atemnot mit entschlossener Kraft. Rechts und links – die Pläne sind wirklich grandios in ihrer Verwegenheit – stößt sich Rio von innen heraus immer neue Avenuen frei, ganze Häuserblöcke wegfegend, wie eine vorwärtsrasende Lokomotive ein papiernes Blatt. Hügel werden abgetragen, ganze Karrees von Häusern der Spitzhacke ausgeliefert, Felsen mit Tunnels durchbohrt, die Berge empor in zementenen Serpentinen breite Verbindungen gebahnt. Rechtzeitig hat hier eine vorausdenkende Verwaltung erkannt, daß es nichts nützt, mit Raum zu sparen, indem man die Häuser höher türmt, wenn gleichzeitig die Stadt sich wie ein überkochender Topf weit und weiter hinaus ins Land ergießt. Die alten Hauptstraßen, die Rua Carioca und Catete und Laranjeiras, die nach Tijuca und Isidoro und Meyer halten den Verkehr mehr auf als sie ihm dienen, und von dem neuen Wohnviertel in das Herz der Stadt fährt man mit dem Auto eine halbe Stunde und noch mehr. Es mußte also Raum gewonnen werden um jeden Preis, und am nachgiebigsten, am gefälligsten erwies sich noch das Meer. Einer Bucht, die sich auf Meilen dehnt, zweihundert und sogar fünfhundert Meter durch Aufschüttung fortzunehmen, hieß dem unendlichen Meer nicht viel nehmen und doch der Stadt unendlich viel gewinnen. So entstanden die großen Strandboulevards, die heute den Blick umranden und durch den Blick auf das Meer und die Landschaft, geschmückt mit Bäumen, durchzogen von Gärten, mit ihren immer abwechslungsvollen Formen dem modernen Rio als Entgelt für seine alte Romantik eine neue Schönheit geben. Sie wirken wie der weiße Rand eines Buches um den gedruckten Text. Jede Seite dieses wie von Gottes Hand aufgeschlagenen Buches sagt eine andere Schönheit aus, und man wird nicht müde, sie immer und immer wieder aufzublättern. Dank der bizarren Formung, in der sich in fünffachen und sechsfachen Buchten das Meer in die Stadt hineinschmiegt, wirkt an jeder Kurve der Blick abwechslungsreicher. Man kann Rio wirklich nur mit einem gemalten Fächer vergleichen, wo jedes Blatt seine besondere Zeichnung hat und doch erst der voll ausgebreitete Fächer das ganze Bild ergibt.
    Wer diese Strandboulevards im Auto durchfährt oder wenn er stundenlang zu marschieren bereit ist – entlanggeht, durchwandert eigentlich sechs oder sieben oder acht völlig verschiedene Städte. Da strahlen zuerst zur Linken der Avenida Rio Branco all die Straßen aus, die zum Hafen und damit in die Handelsstadt führen. Hier landen die großen Ozeandampfer, hier stoßen die Ferryboote nach den Inseln ab, hier füllt sich der farbenfunkelnde Markt mit Blüten und Früchten, hier wartet der Flugplatz mit seinen silbernen Schwalben, hier scharen die Docks und die Arsenale und die Kasernen der Marine sich zusammen; in neuer stolzer Gruppe erhebt sich der mächtige Block der zusammengescharten Ministerien, zwölf-, vierzehn-, sechzehnstöckige Bauten von neuzeitlichstem Charakter. Nach einem kühnen Plan ist beinahe die ganze Verwaltung des riesigen Reiches hier wie zu einem einzigen aufstrebenden Block vereinigt. Aber mögen auch Hafen und Geschäftsstadt und Verwaltungsstadt um ein paar Nuancen farbiger getönt sein als anderswo, die Physiognomie des Modernen wirkt hier noch

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