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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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als bei uns – oder vielmehr, man trinkt ihn eigentlich gar nicht, sondern stülpt ihn mit einem einzigen scharfen Ruck hinunter wie einen Likör, ganz heiß, so heiß, daß, wie man hierzulande sagt, ein Hund heulend davonlaufen würde, wenn man ein paar Tropfen auf ihn schüttete. Wie viele solcher schwarzduftender, glühender Tassen ein Brasilianer durchschnittlich im Tage konsumiert, dürfte statistisch kaum festzustellen sein ich nehme an, zwischen zehn und zwanzig – und ebenso schwer wäre es, apodiktisch zu entscheiden, in welcher Stadt er am besten mundet. Mit homerischem Eifer fordern hier alle Orte den Ruhm der vorzüglichsten, der richtigsten Zubereitung für sich, und so habe ich ihn unparteilich mit gleicher Begeisterung getrunken in den kleinen Kaffeehäusern in Rio, wo die Tasse zweihundert Reis kostet (ein in unseren Währungen kaum münzbarer Betrag), und in der Fazenda selbst und in Santos, der Kaffeestadt, und sogar im Instituto do Café in São Paulo, wo seine richtige Zubereitung geradezu zur Wissenschaft erhoben wird und ich nach genommenem Kurs einen Sack Kaffee und die richtigste Kaffeemaschine zur weiteren Ausübung mitbekam – überall, an allen Stellen war er gleich zauberhaft würzig, stark und nervenbelebend, ein schwarzes Feuer, das die Sinne heller und die Gedanken leuchtkräftiger macht.
    König Kaffee, so möchte man diesen schwarzen Potentaten hier nennen, denn er beherrscht noch immer ökonomisch dieses riesige Land und regiert von seinem Hafen in Santos aus mehr oder minder sämtliche Märkte und Börsen der Welt, sechzehn Millionen Sack von den vierundzwanzig, welche unsere Erde konsumiert, werden hierzulande gepflanzt und verschifft: im letzten sind diese winzigen perlgrauen oder rehfarbenen Körner die eigentliche Münze und Währung des Landes. Mit Kaffee kauft und bezahlt Brasilien die wenigen Rohstoffe, die ihm fehlen, Öl vor allem und Getreide, mit Kaffeekörnern (mit Milliarden Kaffeekörnern allerdings) die Maschinen und technischen Behelfe. Darum war der Weltmarktpreis des Kaffees das eigentliche Thermometer der brasilianischen Wirtschaft; stieg sein Wert, so blühte das ganze Land, drohte er zu sinken, so verbrannte die Regierung die überschüssigen Säcke oder warf die kostbaren Körner den unverständigen Fischen vor. Kaffee bedeutete hier durch ein Jahrhundert im letzten Gold und Reichtum, Gewinn und Gefahr; von seinem Wert und Walten hing bis zu einem gewissen Grade die Handelsbilanz des ganzen Landes ab; nicht der Milreis hat den Wert des Kaffees in manchen Jahren bestimmt, sondern der Weltmarktspreis des Kaffees den Wert des Milreis.
    Dieser große Finanzpotentat Brasiliens, der Kaffee, ist wie so viele andere heute reiche Leute in diesem Lande ursprünglich ein Einwanderer, ein Immigrant. Seine eigentliche Heimat ist Arabien, das Mokka-Land, und die Legende erzählt, daß Hirten dort eines Tages mit Überraschung beobachteten, wie ihre Ziegen immer, wenn sie von einem bestimmten Strauch geknabbert hatten, lebendiger herumtollten. Bald versuchten sie selbst diese Bohnen und stellten fest, daß sie ohne jede Schädigung für die Gesundheit eine besondere Wirkung ausübten und die Müdigkeit minderten, weshalb sie das Gebräu aus diesen köstlichen Bohnen Kahma nannten (von kaheja , was Abhalten vom Schlaf bedeutet). Die Araber brachten das erfrischende Elixier den Türken, bei der Belagerung Wiens fielen den Österreichern ganze Säcke als Beute in die Hände, bald entstand in Wien das erste Kaffeehaus, und das braune Getränk wurde in ganz Europa Mode – eine flüchtige, wie die gute Madame de Sévigné irrigerweise meinte, als sie von Racine ärgerlich sagte: Cela passera comme le café . Aber der Kaffee blieb – Racine überdies gleichfalls und wanderte in die französischen Kolonien nach Guyana hinüber, wo die Pflanzen und Samen ängstlich als Handelsgeheimnis gehütet wurden. Wie tausend Jahre vordem die Chinesen das Urprodukt der Seide, den Cocon, vor allen Fremden versteckten und die Ausfuhr auch nur eines einzigen unverarbeiteten Cocons mit dem Tode bedrohten, bis dann zwei Mönche in einem ausgehöhlten Pilgrimsstab einen Cocon nach Europa schmuggelten – so hatte der Gouverneur von Cayenne strengen Auftrag, keinem Ausländer Zutritt zu den Pflanzungen zu gewähren. Glücklicherweise für Brasilien besaß dieser Gouverneur eine Frau, und diese schenkte 1727 in einer oder nach einer schwachen Stunde dem portugiesischen Sergeanten Major Francisco de

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