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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Ludwigs XVI., der Graf von Provence und tatsächlich später Ludwig XVIII. – er hat sein Ziel erreicht, und Gott allein weiß, auf welchen krummen Wegen, – hat es nie verwinden können, als Zweiter zeitlebens hinter dem Thron stehen zu sollen, statt selber das Zepter zu halten; das Ausbleiben eines Thronerben würde ihn zum Regenten, wenn nicht zum Erben des Königs einsetzen, und seine Ungeduld ist kaum zu zügeln; da er aber gleichfalls ein zweifelhafter Gatte und kinderlos ist, hat auch der zweite Bruder, der Graf von Artois, Vorteil von der Zeugungsunfähigkeit seiner älteren Brüder, denn sie macht seine Söhne zu legitimen Thronerben. So genießen sie beide als Glücksfall, was das Unglück Marie Antoinettes ist, und je länger der grauenhafte Zustand dauert, um so sicherer fühlt sich ihre voreilige Anwartschaft. Darum dieser maßlose, dieser hemmungslose Haß, als im siebenten Jahre Marie Antoinette das Wunder plötzlicher Vermännlichung bei ihrem Gatten endlich zustande bringt und die eheliche Beziehung zwischen König und Königin völlig normal wird. Diesen furchtbaren Hieb, der alle seine Erwartungen niederschlägt, hat der Graf von Provence Marie Antoinette niemals verziehen; und was ihm nicht auf geraden Wegen zufallen wollte, hat er versucht, auf krummen zu erreichen: seit Ludwig XVI. Vater geworden war, wurden sein Bruder und seine Verwandten seine gefährlichsten Gegner. Die Revolution hat gute Helfer bei Hof gehabt, prinzliche und fürstliche Hände haben ihr die Türen aufgetan und die besten Waffen in die Hand gedrückt; diese eine Alkovenepisode hat stärker als alle äußern Ereignisse die Autorität von innen her zersetzt und zum Zerfall gebracht. Fast immer ist es ja ein geheimes Schicksal, welches das äußerlich sichtbare und öffentliche heranzieht, fast jedes Weltgeschehnis Spiegelung inneren persönlichen Konflikts. Ständig gehört es zu den großen Kunstgeheimnissen der Geschichte, aus mikrobischem Anlaß unabsehbare Folgerungen zu entwickeln, und es sollte nicht das letztemal sein, daß durch die vorübergehende sexuelle Störung eines einzelnen Mannes der ganze Kosmos in Unruhe geriet: die Impotenz Alexanders von Serbien, seine erotische Hörigkeit an seine Befreierin Draga Maschin, die Ermordung der beiden, die Berufung der Karageorgevitsch, die Verfeindung mit Österreich und der Weltkrieg sind eine ebenso unerbittlich logische Lawinenfolge. Denn aus Spinnweben flicht die Geschichte das unentrinnbare Netz des Schicksals; in ihrem wundervoll verkoppelten Triebwerk löst das kleinste Antriebsrad die ungeheuerlichsten Kräfte aus; so wird auch im Dasein Marie Antoinettes das Nichtige zum Gewaltigen, das scheinbar lächerliche Erlebnis der ersten Nächte und Ehejahre nicht nur formgebend für ihren Charakter, sondern für die Gestaltung der Welt.
    Aber wie weit noch in der Ferne ballt sich dieses drohende Gewölk! Wie ferne sind noch alle diese Folgerungen und Verstrickungen von dem kindischen Sinn dieser Fünfzehnjährigen, die mit ihrem ungeschickten Kameraden arglos spaßt, die mit einem kleinen, munter klopfenden Herzen und hell-neugierigen Augen lächelnd meint, die Stufen eines Thrones emporzusteigen, – und am Ende steht das Schafott. Aber wem sie das schwarze Los von Anbeginn zugeteilt, dem geben die Götter keine Zeichen und Winke. Ahnungslos unbefangen lassen sie ihn seinen Weg schreiten, und von innen wächst ihm das Schicksal entgegen.

Debüt in Versailles
    N och heute wirkt Versailles als die großartigste und herausforderndste Geste der Autokratie; ganz ohne sichtlichen Anlaß erhebt sich mitten im Lande abseits von der Hauptstadt auf einem künstlich errichteten Hügel ein riesiges Schloß und blickt mit Hunderten von Fenstern über künstlich geschaffene Kanäle und künstlich geschnittene Gärten ins Leere hinein. Kein Fluß, Handel und Wandel befördernd, strömt hier vorbei, keine Straßen, keine Bahnen treffen zusammen; völlig zufallshaft, die versteinerte Laune eines großen Herrn, hält dieser Palast seine sinnlos riesige Pracht dem verwunderten Blick entgegen.
    Dies gerade aber wollte der cäsarische Wille Ludwigs XIV.: seinem eigenen Selbstbewußtsein, seiner Neigung zur Selbstvergöttlichung einen schimmernden Altar errichten. Entschlossener Autokrat, machtherrischer Mensch, hatte er seinen Einheitswillen siegreich dem zerspaltenen Lande aufgezwungen, einem Reiche die Ordnung, einer Gesellschaft die Sitte, einem Hof die Etikette, einem Glauben die

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