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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Zeugungsfähigkeit eines Bourbonen in Anbetracht der Erbfolge eine hochpolitische Angelegenheit darstellt, alle auswärtigen Höfe auf das eindringlichste mit dieser Frage. In den Berichten des preußischen, des sächsischen, des sardinischen Gesandten finden sich ausführliche Erörterungen der heiklen Angelegenheit; der eifrigste unter ihnen, Graf Aranda, der spanische Gesandte, läßt sogar die Laken des königlichen Bettes durch bestochene Dienstleute untersuchen, um jenem physiologischen Ereignis nur möglichst genau auf die Spur zu kommen. Überall in ganz Europa lachen und spotten Fürsten und Könige brieflich und mündlich über ihren ungeschickten Standesgenossen; nicht nur in Versailles, sondern in ganz Paris und Frankreich ist die eheliche Blamage des Königs das Geheimnis Polichinells. Sie wird in allen Straßen besprochen, sie flattert als Libell von Hand zu Hand, und bei der Ernennung des Ministers Maurepas zirkuliert zur allgemeinen Erheiterung das muntere Couplet:
    Maurepas était impuissant,
Le Roi l’a rendu plus puissant.
Le Ministre reconnaissant
Dit: Pour vous, Sire,
Ce que je désire,
D’en faire autant.
    Aber was spaßhaft klingt, hat in Wahrheit schicksalshafte und gefährliche Bedeutung. Denn diese sieben Jahre des Versagens bestimmen seelisch den Charakter des Königs und der Königin und führen zu politischen Folgerungen, die ohne Kenntnis dieses Faktums unverständlich wären: das Schicksal einer Ehe verbindet sich hier dem Weltgeschick.
    Unverständlich bliebe vor allem die seelische Einstellung Ludwigs XVI. ohne Kenntnis jenes intimen Defekts. Denn mit geradezu klinischer Deutlichkeit zeigt sein menschlicher Habitus alle typischen Merkmale eines aus männlicher Schwäche stammenden Minderwertigkeitsgefühls. Weil im privaten, so fehlt diesem Gehemmten auch im öffentlichen Leben jede Kraft zu schöpferischer Tat. Er versteht nicht aufzutreten, er weiß keinen Willen zu zeigen und noch weniger ihn durchzusetzen; linkisch und scheu flüchtet der heimlich Beschämte vor jeder höfischen Geselligkeit und besonders vor dem Umgang mit Frauen, denn er weiß, dieser im Grunde biedere, rechtschaffene Mann, daß sein Mißgeschick jedem am Hofe bekannt ist, und das ironische Lächeln der Eingeweihten verschreckt sein ganzes Gehaben. Manchmal versucht er, sich gewaltsam eine gewisse Autorität zu geben, einen Schein von Männlichkeit. Aber dann greift er immer eine Stufe zu hoch, wird grob, brüsk und brutal, typische Flucht in eine Geste der Kraftmeierei, die ihm niemand glaubt. Nie aber gelingt ihm ein freies, natürliches, selbstbewußtes Auftreten, und am wenigsten das majestätische. Weil er im Schlafgemach nicht den Mann, versteht er vor den anderen nicht den König zu spielen.
    Daß dabei seine persönlichen Neigungen die allermännlichsten sind, die Jagd und körperliche Schwerarbeit er hat sich eine eigene Schmiedewerkstätte eingerichtet, seine Drehbank ist noch heute zu sehen –, widerspricht keineswegs dem klinischen Bild, sondern bestätigt es nur. Denn gerade, wer nicht Mann ist, liebt unbewußt den Männlichen zu spielen, gerade der heimlich Schwache trumpft gern vor den Menschen mit Stärke auf. Wenn er auf dampfendem Pferd stundenlang dem Eber nachjagt und durch die Wälder reitet, wenn er am Amboß seine Muskeln bis zur Müdigkeit erschöpft, so kompensiert da ein Kraftbewußtsein der rein körperhaften Stärke wohltuend die heimliche Schwäche: als Hephaistos fühlt sich wohl, wer den Dienst der Venus schlecht versieht. Aber kaum zieht Ludwig die Galauniform an und tritt unter die Höflinge, da spürt er, daß diese Kraft nur eine der Muskeln, nicht eine des Herzens ist, und sofort wird er verlegen. Selten sieht man ihn lachen, selten ihn wirklich glücklich und vergnügt.
    Am gefährlichsten aber wirkt sich dieses geheime Schwächegefühl charakterologisch im seelischen Verhältnis zu seiner Frau aus. Vieles an ihrem Verhalten widerstrebt seinem persönlichen Geschmack. Er mag ihre Gesellschaften nicht, ihn ärgern der ständige laute Vergnügungstrubel, ihre Verschwendung, ihre unköniglichen Frivolitäten. Ein wirklicher Mann wüßte da schleunig Abhilfe zu schaffen. Aber wie kann ein Mann vor einer Frau, die ihn allnächtlich beschämt, hilflos und als lächerlichen Versager erlebt, bei Tage den Herrn spielen? Weil männlich machtlos, bleibt Ludwig XVI. gegen seine Frau völlig wehrlos; im Gegenteil, je länger sein beschämender Zustand dauert, um so kläglicher gerät

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