Stehaufmaennchen
vor der Röhre macht irgendwie keinen Spaß.
19 Uhr 20
Bonanza ist vorbei, aber das Bild ist jetzt perfekt.
21. Oktober 1973
Sonntag. Es muss sich rumgesprochen haben, dass man bei uns umsonst Bonanza gucken kann. Das wundert mich, denn wirklich gesehen hat es ja noch keiner. Trotzdem habe ich Mühe, zu Beginn der Vorwärmzeit, 18 Uhr 10, noch einen Sitzplatz in unserem Wohnzimmer zu bekommen. Der Kumpel vom Elektriker hat zwei weitere Kumpels mitgebracht. Und die ihre Familien. Papa verkauft Bier.
18 Uhr 40
Mama muss den Badezimmerspiegel holen. Diesmal ist es ein Trafo, den man besser einstellen könnte. Alle helfen mit.
19 Uhr 20
Bonanza ist vorbei. Ich tröste mich damit, dass wir den am besten eingestellten Trafo der Welt haben. Papa ist drei Kästen Bier losgeworden. Davon hat er zwei verkauft.
28. Oktober 1973
Sonntag, 18 Uhr 10. Ich komme nur noch mit einer Sitzplatzreservierung in unser Wohnzimmer.Das halbe Dorf ist da. Mama verkauft Kartoffelsalat. Papa Bier.
18 Uhr 36
Ich werde nervös und schiele auf den Elektriker. Vorsorglich habe ich den Badezimmerspiegel versteckt.
18 Uhr 38
Mama findet den Badezimmerspiegel nicht. Der Elektriker flucht. Wie soll man ohne Badezimmerspiegel die Zeilenablenkung einstellen? Die Stimmung im Wohnzimmer sinkt. Für zwanzig Pfennig verrate ich Mama das Versteck des Spiegels.
18 Uhr 40
Ich werfe die zwanzig Pfennig in den Kasten, der unter dem Fernseher in der Dorfkneipe hängt. Und endlich kann ich Bonanza sehen.
13. New York an der Sieg
30. August 1974
Sommerferien. Morgen ziehen wir um. In die Stadt! Genau der richtige Wohnort für jemanden wie mich. Denn in einer Stadt warten Abenteuer auf einen. Das ist in New York so, in Rio de Janeiro und in Tokio. Warum soll das in Siegburg anders sein? Freue mich auf mein neues Leben in der Zivilisation und nehme Abschied von der dörflichen Einöde. Nachts träume ich von Wolkenkratzern und Nachtleben mit bunter Leuchtreklame.
31. August 1974
Das Haus, in dem unsere neue Wohnung liegt, ist tatsächlich ein Wolkenkratzer, denn es hat fünf Stockwerke! Bei dichtem Nebel kann man – genau wie beim Empire State Building auch – den Boden vom obersten Stockwerk aus nicht sehen! Wahnsinn!
Unsere neue Wohnung liegt im fünften Stock und bietet allen Komfort, den man sich von einer modernen Stadtwohnung wünscht. Es gibt einen Wasserhahn, aus dem warmes Wasser kommt, elektrischen Strom, der sogar meistens funktioniert, und ein Klo mit einem Wasserkasten und nicht mit dieser Druckspülung, die einem beim Abziehen immer die Hose eingesaut hat und deshalb bei uns Kniespülung heißt.
Mein neues Zimmer ist kleiner als das alte. Bett und Schreibtisch geht nicht. Entscheide mich fürs Bett. Lerne sowieso am besten im Liegen. Und im Schlafen. Trotz der Enge bietet mein Zimmer einen unschätzbaren Vorteil: die Aussicht aus meinem Fenster. In der gegenüberliegenden Wohnung entdecke ichnämlich ein Mädchen in meinem Alter. Und im Gegensatz zu den Mädchen auf dem Dorf trägt es keine Gummistiefel, sondern weiße flache Schuhe. Das muss die berühmte Haute Couture sein! Der Umzug in die Stadt fängt an, sich bezahlt zu machen!
1. September 1974
Heute will ich die Stadt erkunden. Habe gelesen, dass man zu Fuß vier Tage unterwegs ist, um Rio de Janeiro zu durchqueren. Habe nur einen Tag zur Verfügung und nehme deshalb mein Fahrrad.
Der Großstadtdschungel Siegburgs gestaltet sich übersichtlicher als zunächst angenommen. Nach zwei Stunden hab ich das Zentrum und große Teile der Peripherie (in Rio de Janeiro sagt man »Favela«) durch. Ziehe ein erstes Resümee. Siegburg ist beträchtlich kleiner als Rio. Es gibt auch keinen Broadway, so wie in New York. Der Broadway Siegburgs heißt Universum-Kino und hat montags bis mittwochs geschlossen. Dafür hat Siegburg einen eigenen Bahnhof! Sozusagen ein Tor zur Welt. Denn von hier aus kann man in eine andere Stadt fahren. Man hat sogar die Auswahl zwischen zwei verschiedenen Metropolen: Hennef und Troisdorf!
Ich entdecke noch mehr Dinge, die es auf dem Lande so nicht gibt. Zum Beispiel Restaurants. Wir hatten auf dem Dorf zwar eine Kneipe, an der draußen auch Restaurant stand. Aber in diesen Restaurants hier kriegt man etwas geboten, das es in der Dorfkneipe nicht gab: was zu essen!
2. September 1974
Habe Peter kennen gelernt. Er ist waschechter Siegburger und kennt sich bestens aus. Was man denn hier so alles anstellen kann? Oh, viel! Zum Beispiel Steine in die Sieg werfen. Wow! Und
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