Stehaufmaennchen
sonst? Peter denkt nach. Kein gutes Zeichen. Man kann auch Eis essen, denn Siegburg verfügt über einen echten Italiener,der echtes italienisches Eis verkauft. Im Eiscafé Dolomiti. Super! Siegburg hat also eine Art Little Italy! Das klingt nach Großstadt. Der echte Italiener heißt Jupp Krahwinkel und betreibt seinen original italienischen Eissalon in der Nähe des Bahnhofs. Jupp war zwar noch nie in Italien, hat aber als Ersatz dafür ein Foto von den Dolomiten an eine Wand tapeziert. Jupps Dolomiten haben große Ähnlichkeit mit der Zugspitze. Jupp meint, er wüsste es nicht so genau. Könnte auch die Zugspitze sein. Da war er aber auch noch nie. Das Foto von der Zugspitze würde trotzdem irgendwie passen, denn sein Eissalon läge ja schließlich neben dem Bahnhof. Hä? Zugspitze? Bahnhof? Ah, ja ... logisch!
Nachmittags werfen wir Steine in die Sieg. Aufregend. Immerhin hat Siegburg einen Fluss. So wie London. Nur dass die Brücke hier nicht Tower Bridge heißt, sondern »Für Fahrräder gesperrt«.
Das Schild hätte man sich sparen können, denn als wir zurück an die Straße kommen, stelle ich fest, dass mein Fahrrad weg ist. Peter fragt, ob ich es denn nicht abgeschlossen hätte. Nö, wieso? Hab ich auf dem Dorf auch nie. Muss mich belehren lassen, dass in der Stadt nicht nur Abenteuer warten, sondern auch Kriminelle. Eine völlig neue Erfahrung für eine Dorfpflanze wie mich. Peter nimmt mich auf seinem Gepäckträger mit zurück ins Zentrum. Unterwegs mache ich eine zweite neue Erfahrung. Die Polizeikontrolle. Müssen runter vom Rad. Damit wir nicht in die Versuchung kommen, nach der nächsten Ecke wieder aufzusteigen, dreht uns der nette Polizist die Ventile raus.
3. September 1974
Entdecke mein Fahrrad am nächsten Tag auf der Hauptstraße. Natürlich mit einem Schloss. Der Dieb scheint schon länger in der Stadt zu wohnen. Hole von zuhause eine Eisensäge und beginne, mir mein Eigentum zurückzuholen. Beeile mich, damitmich der Dieb nicht entdeckt, sollte er zufällig auftauchen. Habe Glück. Der Dieb taucht nicht auf. Dafür der Polizist von gestern.
»Na, was machen wir denn da?«
»Ich säge das Schloss auf.«
»Fahrraddieb, was?«
»Genau!«
Kurz darauf lerne ich eine weitere Attraktion Siegburgs kennen. Die Polizeiwache. Meine Personalien werden aufgenommen. Anschließend werde ich mit einer Streife nachhause gefahren. Als ich vor unserer Haustür aus der Streife steige, sehe ich, wie das Mädchen von gegenüber uns beobachtet. Toller Einstand! Was die jetzt wohl von mir denkt? Gott sei Dank kann Mama bestätigen, dass mein Fahrrad auch wirklich mir gehört. Morgen werd ich mir ein Schloss kaufen.
4. September 1974
Mein Fahrradschloss ist ein richtiges Hightech-Modell, denn man braucht keinen Schlüssel mehr, sondern öffnet es mit einer Zahlenkombination. So was Modernes kriegt man auf dem Dorf nicht zu sehen! Präge mir die Kombination gut ein und fahre mit Peter zu Jupp, den wir mittlerweile Giovanni getauft haben, damit er wenigstens irgendetwas Italienisches an sich hat. Im Dolomiti reden wir über Fußball. Eigentlich redet Peter über Fußball, denn ich interessiere mich nicht sonderlich dafür. Erhalte einen Grundkurs in Bundesligatabellen und erfahre unter anderem, dass Bayern München mit einer Tordifferenz von 42 (95 zu 53 Toren) auf Platz eins steht und 49 zu 19 Punkte hat. Wenn Borussia Mönchengladbach (93 zu 52 Tore, Differenz 41, Punkte 48 zu 20) im nächsten Spiel mit einer Tordifferenz von 2 gewinnt, könnte die Mannschaft auf Platz eins vorrücken. Habe genug von Fußball und schlage vor, an die Sieg zu fahren. Steine werfen. Draußen steh ich vor meinem Fahrrad und betrachtemein Zahlenschloss. Wie war noch die Kombination? Mir fallen plötzlich alle möglichen Zahlen ein. Kickers Offenbach: 31 zu 37 Punkte, Schlacht von Waterloo: 1815, NSU Prinz: 1200 Kubik, Brustumfang Arnold Schwarzenegger: 154, Brustumfang Jane Fonda: 92 Komma 5. Ende. Für mehr Zahlen ist kein Platz mehr in meinem Kopf. Hole die Eisensäge.
Zwei Stunden später werde ich mit der Streife nach Hause gefahren. Wieder schaut das Mädchen von gegenüber zu.
5. September 1974
Neues Schloss. Mit Schlüssel. Schlüssel verloren. Streife. Mädchen guckt zu.
6. September 1974
Morgen sind die Ferien vorbei. Werde meine neue Schule kennen lernen. Wenn ich auf dem Weg dorthin nicht wieder auf der Polizeiwache lande. Stimmt schon, das Leben in der Stadt ist irgendwie aufregender als auf dem Dorf. Auch wenn
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