Stehaufmaennchen
der Zeitung lese ich, dass Doktor Finck-Stauff Hilfsarbeiter sucht. Male mir aus, im OP zu arbeiten, doch Doktor Finck-Stauff ist kein Arzt, sondern Bauunternehmer. Auch okay. Dann bau ich eben Wolkenkratzer. Passt auch besser zu meinem amerikanischen Traum.
17. August 1977
Doktor Finck-Stauff baut keine Wolkenkratzer, sondern Autobahnen. Autobahnbauen hab ich mir spannender vorgestellt. Den ganzen Tag stehe ich irgendwo mit einer großen Messlatte rum. Dabei beobachtet mich ein Ingenieur durch ein Fernrohr und schreibt Zahlen in seinen Plan. Mittags frage ich, ob wir nicht mal tauschen können. Der Ingenieur sagt, das ginge nicht. Wegen mangelnder Qualifikation, und schließlich sei er der Ingenieur. Frage ihn, welche Qualifikation ein Ingenieur dennbräuchte, um eine Messlatte halten zu dürfen. Das kollegiale Verhältnis zwischen uns kühlt spürbar ab.
18. August 1977
Um die Arbeit abwechslungsreicher zu gestalten, nehm ich die Latte mal in die rechte, mal in die linke Hand. Der Ingenieur meint, das ginge nicht. Die Latte darf sich während des Messvorgangs keinen Millimeter bewegen. Und ich mich am besten auch nicht. Ich bleibe steif stehen und frage den Ingenieur, ob die Bewegung der Schweißperlen, die über mein Gesicht laufen, nicht das Messergebnis verfälschen. Unser kollegiales Verhältnis erfährt einen weiteren Temperatursturz.
Am Abend lobt mich mein Vorgesetzter Herr Zisenis für meine gute Arbeit. Bewegungslosigkeit scheint eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Karriere beim Bau zu sein. Dann fragt er, ob ich nicht Lust habe, in den Pausen was nebenher zu verdienen. Mit Insektenfang. Für seine wertvolle Echsensammlung zuhause. Pro vollen Quarkbecher drei Mark. Rechne kurz nach. In meiner Stunde Pause krieg ich locker zwei Becher voll. Wenn ich dann noch nach Feierabend zwei Stunden auf Insektenpirsch gehe, hab ich achtzehn Mark am Tag dazuverdient. Die Million rückt in greifbare Nähe! Ich schlage ein und wechsle in die Insektenbranche!
19. August 1977
Leider die Rechnung ohne die Insekten gemacht. Die liegen nämlich nicht einfach auf dem Boden rum, sondern machen das, was Insekten eben so tun. Sie fliegen. Und zwar irre schnell. Für eine Schwalbe sicher kein Problem. Die wiegt ja auch keine hundert Kilo. Hetze in der Mittagshitze mit einem Schmetterlingsnetz über die Baustelle und verfluche Zisenis‘ Echsen. Warum müssen die Viecher ausgerechnet Insekten fressen? Warum keine Schnecken?
Abends hab ich gerade mal knapp einen Becher voll gefangen. Bin völlig am Ende. Mama meint, man würde mir ansehen, wie anstrengend die Arbeit auf der Baustelle ist. Brauche dringend eine andere Strategie.
20. August 1977
Habe die Lösung! Stelle morgens an verschiedenen Punkten der Wiese sechs Eimer mit Deckel auf. In die Deckel habe ich ein fingerdickes Loch gemacht und den Eimerboden mit Mamas selbstgemachter Erdbeermarmelade eingeschmiert. Nach der Arbeit komme ich zurück und höre, dass es in den Eimern wie verrückt brummt. Wie bekomme ich die Viecher jetzt in die Quarkbecher? Ganz einfach. Sprühe in jeden Eimer eine komplette Dose Paral durch das kleine Loch. Wie erwartet verstummen die Insekten, und ich kann sage und schreibe dreißig Becher vollmachen, die ich noch am selben Abend dem Echsenfreund überreiche. Die Kasse klingelt in meinen Ohren!
21. August 1977
Eine Art Börsencrash hat mich erschüttert. Die Insektenbranche liegt am Boden. Tot. Wie Zisenis‘ Echsen. Vergiftet hätte einer die. Und wenn er den Sausack in die Finger bekäme. Ich kann das nachvollziehen. Denn auch für mich ist der Verlust der Echsen ein herber Schlag.
23. August 1977
Noch ein Tiefschlag. Der Ingenieur hat keine Lust mehr auf meine Kommentare und verlangt, dass jemand anderes steif in der Gegend rumsteht. Ich muss meine Messlatte abgeben und bekomme eine pneumatische Bodenramme.
Mit einer pneumatischen Bodenramme verfestigt man den Boden. Man muss einen Griff ziehen, die zentnerschwere Rammespringt in die Luft und kracht wieder runter. Dabei wird der Boden hart und das Gehirn weich. Denn so eine Ramme macht Krach und schüttelt einen unangenehm durch. Nach einer Minute kann ich nicht mehr, mache eine Pause und denke nach. Warum soll ich den Griff ziehen, wenn eine Schraubzwinge das auch kann? Fixiere den Griff mit einer Zwinge und starte den Motor. Fasziniert beobachte ich, wie die Ramme ohne mein Zutun ihr Werk tut. Beschließe zufrieden, ein Nickerchen zu machen. Köpfchen muss man eben
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