Stehaufmaennchen
Job macht mittlerweile richtig Spaß. Nur der Vorarbeiter geht mir zunehmend auf den Sack. Egal was ich mache, immer tippt er sich an die Stirn und lässt sein Lieblingswort los. In der Mittagspause rede ich mit meinen Kollegen über ihn. Dem müsste man mal eins auswischen. Habe eine Idee. Was ist, wenn man seine Arbeitsschuhe am Boden festschweißt? (Die Arbeitsschuhe in einer Werft haben Stahlkappen. Falls einem mal ein Schiff auf die Füße fällt.) Die Kollegen winken ab. Das Festschweißen der Arbeitsschuhe sei ein alter Hut und etwas für Anfänger. Will nicht als Anfänger dastehen und lege noch eins drauf.
»Klar, Schuhe festschweißen kann jeder. Ich würde seine Schuhe aber festschweißen, während er sie trägt.«
Die Kollegen schütteln den Kopf. Das schafft keiner. Oder doch? Die ersten Wetten werden abgeschlossen. Am Nachmittag steht es zwanzig zu eins gegen mich. Muss zur Tat schreiten. Schließlich gilt es, meine Ehre als Schweiß-Karajan zu verteidigen. Kurz darauf bietet sich eine super Gelegenheit. Mister Bekloppt steht auf einer Treppe und kontrolliert die Arbeit der anderen. Die Stahlkappen seiner Arbeitsschuhe berühren eine Stufe der Stahltreppe. Optimale Bedingungen! Ich kann mich unbemerkt unten heranschleichen. Zwei gezielte Schweißpunkte, und das Werk ist vollbracht. Bin gespannt, wie er reagiert, und kann das Lachen kaum unterdrücken. Der Vorarbeiter bemerkt mich, will zu mir herunter und kann natürlich nicht. Ungläubig schaut er erst auf seine Schuhe, dann auf mich.
»BEKLOPP?«
Und dann passiert etwas, mit dem ich nie gerechnet hätte. Der Vorarbeiter kann nämlich noch ein anderes Wort. Ein neues. Eins, das ich bis jetzt nicht aus seinem Mund vernommen habe.
»AUA!«
Er wiederholt es immer wieder, so als wolle er seinen soeben vergrößerten Wortschatz stolz in die Welt hinausschreien.
»AUAUAUAUAUAU!«
Er reißt seine Füße aus den Schuhen und starrt mich wütend an. Wieso trägt der Mann schwarze Nylonsocken? Und wieso so alte? Mit so vielen Löchern? Brauche eine Weile, bis ich bemerke, dass es sich bei den Socken nicht um Socken handelt, sondern um Haut. Genauer: um durch hohe Temperatureinwirkung stark in Mitleidenschaft gezogene Haut. Noch genauer: Hautreste. Hatte die Wärmeleitfähigkeit von Stahl wohl etwas unterschätzt.
Meine Aktion macht mich irre beliebt bei meinen Kollegen. Leider hab ich nichts mehr davon, denn am Abend krieg ich die Kündigung. Die Wette aber, die hab ich gewonnen.
23. Premiere im Supermarkt
22. September 1977
Seit Montag arbeite ich als Aushilfe im Supermarkt. Bei den vielen Jobs, die ich in der letzten Zeit hatte, komme ich langsam durcheinander. Dienstag hab ich versehentlich ein Schweißgerät mitgebracht und stand kurz davor, einen Stapel Konservendosen (Linsen mit Suppengrün, Aktionspreis 99 Pfennig) aus statischen Gründen miteinander zu verschweißen. Mein Männerjob in der Werft, das war schon was anderes, als im Supermarkt zu arbeiten. Was keineswegs bedeutet, dass die Arbeit in einem Supermarkt nicht auch den ganzen Mann fordern kann. Und das hängt mit etwas zusammen, das es in einer Werft nicht gibt: Kunden.
»Junger Mann! Können Sie mir bitte ein Glas Gewürzgurken aus dem Regal geben? Ich komme nicht dran.«
Wohlerzogen, wie ich bin, helfe ich der alten Dame natürlich gern. Sie schaut misstrauisch auf das Glas. Dabei stört ein wenig ihr Hut. Ein hässliches Bast-Ufo mit eingearbeiteten roten Knubbeln. Wahrscheinlich Tomaten oder so. Der Mund unter dem Gemüse-Arrangement teilt mir mit, dass man ein anderes Glas zu sehen wünsche. Tue, wie mir geheißen. Der Kunde ist schließlich König. Doch Queen Mum ist immer noch nicht zufrieden.
»Diese Gurken sind ja nur zwei Jahre lang haltbar! Geben Sie mir eins von hinten. Ich kenne nämlich Ihre Methoden. Die frischen Sachen werden nach hinten geräumt, damit alte Leute wie ich den abgelaufenen Krempel von vorne wegnehmen. Mit uns kann man‘s ja machen!«
Räume das komplette Regal leer. Keins der Gläser ist länger haltbar als zwei Jahre. Wozu auch? Die letzten Hamsterkäufe fanden im Zweiten Weltkrieg statt. Vielleicht sollte man die Dame mal darüber informieren, dass die Tinte auf Deutschlands Kapitulationserklärung schon seit längerer Zeit trocken ist. Lasse vernünftigerweise von diesem Vorhaben ab und frage stattdessen freundlich, wann sie denn die Gewürzgurken zu essen beabsichtige.
»Das müssen Sie schon mir überlassen! Wäre ja noch schöner, mir
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