Stehaufmaennchen
Kommissar die Meinung gesagt habe. Bin ein bisschen stolz. Mama gibt mir einen Kuss. Komme mir ein bisschen vor wie Robin Hood. Klar, ein Dieb, aber im Kampf für die Gerechtigkeit.
20. Der böse Brief
18. Juni 1977
Heute einen Brief bekommen. Von meiner Schule. Es ist nicht der übliche blaue Brief, sondern er sieht irgendwie anders aus. Noch offizieller. Eigentlich hab auch nicht ich ihn bekommen, sondern meine Eltern. Überlege, ob ich den Brief sofort an meine Eltern weitergeben soll. Eine innere Stimme sagt mir, dass dies reiflich überlegt sein will. Überlege sehr lange und komme zu keinem Ergebnis. Solange ich überlege, verstecke ich den Brief sicherheitshalber in meinem Zimmer. Nicht etwa, weil ich Angst hätte, Mama könnte ihn finden, nein, da spielen andere Erwägungen eine Rolle. Zum Beispiel könnte bei uns eingebrochen werden, und wenn der Brief dann einfach so rumliegt und von einem Einbrecher gefunden und mitgenommen wird, könnten meine Eltern den Brief ja nicht mehr bekommen. Und das sähe dann ja so aus, als wollte ich meinen Eltern den Brief vorenthalten. Das will ich natürlich nicht.
19. Juni 1977
Bin mit meinen Überlegungen nicht viel weitergekommen. Vielleicht würde mir die Entscheidung leichter
fallen, wenn ich wüsste, was in dem Brief steht. Wie liest man einen Brief, ohne ihn zu öffnen? Uri Geller könnte das. Er würde den Brief einfach auf
seine Stirn pressen und zack, hätte er den Inhalt im Kopf. Versuch macht kluch. Lege mich aufs Bett und presse den Brief fest gegen meine Stirn. Ich
konzentriere mich wahnsinnig, doch der Inhalt des Briefs mag sich nicht auf mein Gehirn übertragen.
Mir fällt ein, dass Uri Geller immer so einen Satz sagt. Klar, den braucht man natürlich. Nur, wie heißt der Satz? Starte eine Telefonaktion und rufe Peter an.
»Ja Markus hier, sag mal, was für einen Satz sagt Uri Geller immer, wenn er im Fernsehen eins seiner Kunststücke macht?«
»Guten Abend meine Damen und Herren?«
»Nein, den Satz später!«
»Auf Wiedersehen?«
»Idiot!«
Rufe Silvia an. Sie weiß es auch nicht. Aber vielleicht ihre Brieffreundin. Die wohnt aber in der Schweiz. Rufe in der Schweiz an. Der Gebührenzähler rattert durch. Muss mich kurz fassen, sonst gibt‘s Stress wegen der Telefonrechnung. Silvias Brieffreundin fasst sich nicht so kurz. Muss wohl an ihrem Schweizer Gemüt liegen.
»Joooooo ... derrrr ... Urrrri ...«
Schweigen. Nach einer Minute frage ich vorsichtig nach, ob sie noch da ist.
»Jooooo ... da muss ich ain mal nachdenkche ...«
Zwei Minuten Pause. Beobachte den rotierenden Gebührenzähler. Dann gibt es wieder ein Lebenszeichen aus der Schweiz.
»Hmmmmm ...«
Pause. Frage mich, ob die in der Schweiz noch mit Rauchzeichen kommunizieren. Ginge jedenfalls um einiges schneller als miteinander zu reden.
Schließlich wieder ein Lebenszeichen.
»Welcher Urrri?«
»GELLER! Der aus dem Fernsehen!«
Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. Aus einer Wasserpistole. Einer verstopften Wasserpistole.
»Ich hab keinen Fernseher«, plätschert es mir entgegen. Erfahre aber, dass ihre Oma einen Fernseher hat und ihn auch oft benutzt.
Rufe die Oma an. Gegen ihre Oma ist Silvias Brieffreundin ein Temperamentsbolzen. Doch meine Geduld zahlt sich aus. Keine zwei Stunden später hab ich den Satz. Der Gebührenzähler hat mittlerweile den Geist aufgegeben. War wohl zu viel für ihn.
Lege mich aufs Bett und presse mir wieder den Umschlag auf die Stirn. Dann murmele ich beschwörend den teuer erkämpften Satz.
»Echat Staim Schalosh. Echat Staim Schalosh. Echat ...«
Schließe die Augen. Brigitte Bardot kommt auf mich zu. Nackt. Sie fragt, ob ich mit ihr schlafen möchte. Schön langsam. Auf Schweizer Art. Sie zieht mich aus und setzt sich auf mich drauf. Ich sei der schönste Mann der Welt und sie sei unsterblich in mich verliebt. Außerdem hätte sie viele Freundinnen, die auch alle unsterblich in mich verliebt seien. Ob ich die mal kennen lernen möchte?
»JA! BITTE!«
Werde durch meinen eigenen Schrei wach. Brigitte Bardot ist weg. Schaue auf den Brief. Wenn der Uri-Geller-Trick geklappt hat, dann will die Schule durch diesen Brief meinen Eltern mitteilen, dass Brigitte Bardot sich unsterblich in mich verliebt hat. Nicht wirklich wahrscheinlich. Schade. Lege den Brief wieder weg. Nachts versuche ich, mein erotisches Abenteuer mit Brigitte weiterzuträumen. Klappt aber nicht. Träume stattdessen von einer Schweizer Oma.
20. Juni
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