Stehaufmaennchen
Füßen im Flur aus. Im Sturz dreh ich mich so, dass ich nicht auf meinen Ellbogen lande. Das ist nämlich sehr schmerzhaft. Lande stattdessen auf dem Steißbein. Das ist noch schmerzhafter. Schleppe mich zum Telefon und hebe ab. Aufgelegt. Toll! Ich bin es meinem Gratulanten noch nicht mal mehr wert, das Telefon ein bisschen länger läuten zu lassen.
Lasse mich aufs Sofa sinken und springe schreiend wieder auf. Mein Steißbein hat was gegen eine Sitzposition. Spitze! Es reicht nicht, dass mir an meinem Geburtstag keiner gratuliert, nein, jetzt darf ich auch noch den ganzen Tag doof rumstehen.
Ziehe mich an und gehe zum Bäcker. Es nieselt. Passt zu meiner Stimmung. In der Bäckerei schaut mich die Verkäuferin an. Hatte ich ihr nicht erzählt, dass ich heute Geburtstag habe? Bestimmt hab ich das. War das nicht letzte Woche? Oder vor einem Jahr? Egal, sie muss sich einfach daran erinnern. Lächle sie in Erwartung meiner ersten Geburtstagsgratulation an. Die Verkäuferin lächelt zurück und sagt:
»Vier Brötchen, wie immer?«
Warte noch ein paar Sekunden, doch mehr kommt nicht von ihr. Bin etwas enttäuscht. Muss doch länger her sein, dass ich ihr von meinem Geburtstag erzählt habe. Gebe ihr einen kleine Gedächtnisstütze.
»Ich nehm noch fünf Apfelriemchen dazu. Denn heute ist ein besonderer Tag!«
»Kriegen Sie Besuch?«
»Ähm ... nein.«
»Ich mein wegen der fünf Riemchen. Na ja, Sie hatten ja immer schon einen guten Appetit. Macht dann acht Mark zehn.«
Bezahle und gehe raus. Meine Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Keiner denkt an mich. Wenn mich jetzt ein paar Aliens entführen, würde mich keine Sau vermissen. Schaue nach oben in den grauen Himmel. Kein UFO in Sicht. Warum sollten sich auch Außerirdische für mich interessieren, wenn ich noch nicht mal mehr für meine Freunde interessant bin? Gehe traurig nach Hause.
Unterwegs sehe ich Peter auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Überlege kurz, rüberzugehen. Aber würde ich mich damit nicht regelrecht anbiedern? »Peter, bitte, hab Erbarmen und gratulier mir zum Geburtstag!« Wie sähe das denn aus? Hab ich das nötig? Drücke mich in einen Hauseingang und tue so, als ob ich ihn nicht sehe. Peter sieht mich auch nicht. Er könnte doch einfach mal rübergucken. Vielleicht tut er aber auch nur so, als ob er mich nicht sieht. Wie arm! Bestimmt ist es ihm peinlich, nicht heute Morgen schon angerufen zu haben. Soll ihm auch peinlich sein! Selber schuld! Was vergisst der auch den Geburtstag seines besten Kumpels!
Im Hausflur komm ich am Briefkasten vorbei. Vielleicht hab ich ja Geburtstagspost! Mein Herz hüpft ein wenig vor Freude. Will den Kasten öffnen, als mir ein Gedanke kommt. Was ist, wenn ich keine Geburtstagspost habe? Die Enttäuschung wäre riesig, und ich könnte sie in meiner momentanen Verfassung nicht verkraften. Lasse den Briefkasten zu. Immerhin kann ich mir so wenigstens einbilden, dass im Kasten Post wäre. Solange ich nicht nachsehe, weiß ich es ja nicht. Aber wahrscheinlich ist keine drin. Mit Sicherheit nicht.
Esse in der Küche ein Apfelriemchen. Stehend. Sitzen ist nicht. Fühle mich hundeelend. Ich könnte mich jetzt ins Bett legen und die Decke über den Kopf ziehen. Aber auch gegen die liegende Position erhebt mein Steißbein heftig Einspruch. Stellemich in den Flur und ziehe mir die Decke über den Kopf. Einen schlimmeren Geburtstag hab ich noch nie erlebt.
Unter der Decke denk ich nach. Klar, wenn ich eine Party gemacht hätte, dann hätten mir alle gratuliert. Gibt ja auch umsonst zu trinken. Super Freunde, die ich habe. Aber bitte! Ich kann auch ohne Freunde einen glücklichen Geburtstag feiern. Und vor allem ohne Uschi. Ich brauche niemanden! Werfe die Decke ab, marschiere entschlossen in die Küche und esse noch ein Riemchen. Versuche mit aller Kraft, dabei glücklich zu sein.
Telefon. Hebe ab und schreie glücklich in den Hörer, dass mich alle mal kreuzweise können. Dann reiße ich im Überschwang meines Glücksgefühls die Leitung aus der Wand.
Den Nachmittag verbringe ich abwechselnd in der Küche und im Wohnzimmer stehend. Gegen fünf sind die Riemchen alle. Könnte eigentlich mal auf mich anstoßen. Habe aber keinen Sekt im Haus. Zum Supermarkt will ich nicht. Zu groß wäre das Risiko, unterwegs irgendjemanden zu treffen. Irgendjemand, der dann sagt: »Hey Markus, hast du nicht heute Geburtstag? Wollte eigentlich schon anrufen, hab‘s dann aber irgendwie verschwitzt. Aber ist ja noch nicht zu
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