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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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verbinden würde. Lamellos oder Dübel? Schiele noch mal auf ihre Beine. Ein paar Holzdübel schauen aus ihren Waden. Reibe mir die Augen. Die Holzdübel sind weg. Muss wohl vom Schlafmangel kommen.
    Frau Nelle-Distel erklärt, dass es einfache Mittel gäbe, Prüfungsangst in den Griff zu kriegen. Wenn ich an die Prüfung denke, soll ich mir einfach was Schönes vorstellen. Wusste nicht, dass Psychologie so einfach sein kann. Dann üben wir, an schöne Sachen zu denken. Ich soll die Augen schließen und Frau Nelle-Distel erzählt von einem schönen Strand in der Karibik. Warm, laues Lüftchen, warmes Wasser. Öffne die Augen und schiele zu ihr rüber. Sie erzählt mit geschlossenen Augen, taucht regelrecht ab in ihre Strandwelt und macht dabei einen völlig glücklichen Eindruck. Beneidenswert. Versuche mit aller Kraft an den Strand zu denken, aber immer wieder schiebt sich kongolesische Wenge ins Bild.
    In der Nacht kann ich wieder nicht schlafen. Gehe zwölf Mal um den Block und versuche mir was Schönes vorzustellen. Als ichzum dreizehnten Mal um den Block gehe, fällt mir was ein, was ich schön fände. Schuhe. Bin wohl im Tran barfuß rausgegangen.
18. Juli 1991
    Zweite Sitzung. Die Therapeutin meint, dass meine Angst wahrscheinlich tiefer sitzt als angenommen. Ob ich als Kind mal ein Trauma hatte. Mir fällt nix ein. Meine Kindheit verlief friedlich. Geschlagen wurde ich nie. Frau Nelle-Distel führt an, dass ein Trauma nicht automatisch mit körperlicher Gewalt zu tun haben müsste. Es könnte zum Beispiel sein, dass man mir im Alter von zwei Monaten die mütterliche Brust entzogen hat. Das wäre vielen Männern so gegangen, und einige von ihnen würden deshalb heute noch Verhaltensauffälligkeiten zeigen. So sei bei diesen Männern die Angst verbreitet, Luftballons platzen zu lassen, weil das männliche Unterbewusstsein den Ballon mit der mütterlichen Brust assoziiere. Aha.
    In der Nacht schlafe ich keine Minute, weil ich die ganze Zeit überlege, wann ich das letzte Mal einen Luftballon zum Platzen gebracht habe. Morgens durchfährt mich ein schrecklicher Gedanke. Hab ich überhaupt jemals einen Ballon zerplatzen lassen?
19. Juli 1991
    Luftballon gekauft. Vor dem Laden noch blase ich ihn auf und bring ihn zum Platzen. Einfach so. Ging völlig problemlos. Bin erleichtert und lasse direkt noch einen platzen. Entdecke Peter, der mich wohl beobachtet hat. Peter tippt sich an die Stirn. Bin beunruhigt.
25. Juli 1991
    Dritte Sitzung. Heute werde ich hypnotisiert. Ich soll dadurch in meine früheste Kindheit zurückversetzt werden, um Dinge aufzuarbeiten, die mir damals passiert sind. Hab ein bisschen Angst, weil ich noch nie hypnotisiertworden bin. Frau Nelle-Distel beruhigt mich. Da würde überhaupt nichts passieren und die Hypnose hätte bis jetzt noch bei jedem funktioniert. Mag sein, bei mir funktioniert sie nicht. Damit die Therapeutin aber nicht denkt, ich sei anders als die anderen, tue ich so, als würde ich in Trance fallen, und fange an, mich wie ein Kind aufzuführen. Die Therapeutin ist begeistert von ihrer Hypnose. Steigere mich immer mehr in die Rolle hinein und fordere energisch Bauklötze. Mal sehen, wie sie damit umgeht. Frau Nelle-Diestel springt auf und holt ein paar Bauklötze (Buche, unbehandelt) aus einer Schublade. Damit hab ich nicht gerechnet. Interessant, was die in so einer Praxis alles haben. Beim nächsten Mal fordere ich ein anderes Spielzeug. Vielleicht einen Ferrari. Im Augenblick aber sehe ich mich gezwungen, mit Bauklötzchen zu spielen. Baue eine Sitzgruppe. Dann mach ich die Sitzgruppe kaputt und baue eine Schrankwand. Die Therapeutin beobachtet mich fasziniert und schreibt viel in ihr Notizbuch.

1. August 1991
    Vierte Sitzung. Die Therapeutin teilt mir mit, dass sie mein Verhalten analysiert hat. Ich sei ein sehr interessanter Patient. Sie hätte bei mir nämlich eine neue und einzigartige Phobie festgestellt, die sie so noch nicht gesehen hat. Die Angst vor dem Verlust von Bauklötzchen. Ob ich was dagegen hätte, wenn sie das über mich zusammengetragene Material für ihre Zusatzausbildung benutzen würde. (Bei »Ausbildung« bricht mir kalter Schweiß aus.) Sie denkt nämlich, sie könnte das Material ganz gut benutzen für ihre Prüfung (Puls schnellt hoch auf 190) zur Gestalttherapeutin. Und die Prüfungsanforderungen wären verdammt hoch. So eine Prüfung sei der reinste Stress, aber mit meinem Material erhofft sie sich ein besseres Prüfungsergebnis (kurzfristiger

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