Stehaufmaennchen
es »abfetzmäßig porno« klingt. (Neues Wort für »erste Sahne«.) Dass der neue Modetrend eindeutig in Richtung Baggy Pant weist, ist mir schon seit Monaten klar (fast schon ein alter Hut), und ich bin der Erste, der weiß, was eine Diddl-Maus ist. Und noch wichtiger: wie hässlich sie ist! Gleichzeitig interessieren sich die Kids an der Schule immer mehr dafür, wie es so zu meiner Jugendzeit war. Also im Mittelalter. Erzähle, dass ich zu meiner BundeswehrzeitLed Zeppelin in der Sporthalle Köln gesehen habe. Und dass ich vor Gericht gestanden habe. Wegen Diebstahls. Mein Ansehen steigt und ich werde befördert. Vom MOF (Mensch ohne Freund) zum Digger (Kumpel). In meinem ständigen Wechsel zwischen Berufsschule und Ü30-Partys fühle ich mich wie ein Botschafter, der zwischen zwei Generationen vermittelt. Eigentlich eine schöne Aufgabe.
Und eine, die jung hält.
43. Angst
4. Juli 1991
Heute in sechs Wochen hab ich meine Gesellenprüfung. Bin gut vorbereitet und büffele wie ein Bekloppter. Ich weiß alles über Holzverbindungen, Furniere, Oberflächenbehandlung oder Holzschädlinge. Kann aber irgendwie in der letzten Zeit nachts schlecht schlafen. Fühle mich angespannt, gleichzeitig schlapp und leide unter erhöhter Nervosität. Habe gelesen, dass auch Männer ihre Tage haben können. Vielleicht ist es ja bei mir so weit.
Nachts liege ich wach und rechne aus, wie viele Tage mir noch ungefähr bis zu meinen Wechseljahren bleiben.
6. Juli 1991
Peter meint, ich soll mal in die Sauna gehen. Das würde ungemein entspannen. In der Sauna betrachte ich die Wand (Rotzeder Profil, acht Millimeter mit versenkter Nut). Nach dem dritten Saunagang leg ich mich in den Ruheraum. Bin tatsächlich etwas entspannt, denn ich schlafe ein. Werde von einem Mann geweckt, der mir einen Ausweis vor die Nase hält. Industrie- und Handelskammer, Prüfungs-Ausschuss. Der Mann teilt mir mit, dass die IHK beschlossen hätte, meine Prüfung vorzuziehen. Und zwar auf jetzt. Stehe auf und tretenackt vor ein Prüfungs-Komitee. Einer der Prüfer hat eine Peitsche in der Hand. Er grinst mich an und fragt, welchen Stechbeitel man zur Setzung einer Schwalbenschwanzverbindung nehmen müsse. Meine Antwort kommt eine Sekunde zu spät, denn schon hab ich einen Schlag mit der Peitsche weg. Schreie wie am Spieß und wache schweißgebadet auf. Gehe mit zittrigen Beinen nach Hause und schließe mich ein, damit keiner von der IHK hereinkann. Bin ich noch normal?
7. Juli 1991
Peter meint, wenn ich bekloppt sei, müsse ich eben in die Irrenanstalt. Wie gefühlvoll von ihm. Vielleicht hab ich ja nur was Organisches.
8. Juli 1991
Sitze beim Arzt. (Schrank: Eibe Furnier, Tischplatte massiv, einfach gezapft) Der Arzt teilt mir nach der Untersuchung mit, dass ich kerngesund sei. Zumindest organisch. Bin enttäuscht. Mist! Organisch kerngesund! Ob Peter doch Recht hat? Muss an den Film mit Jack Nicholson denken. Einer flog über das Kuckucksnest . Werde unruhig. Der Arzt schaut mir lächelnd in die Augen und drückt auf einen Knopf seiner Sprechanlage. Bestimmt kommen gleich zwei Wärter rein, um mir eine Zwangsjacke zu verpassen. Kriege Angst und schaue mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. In dem Jack-Nicholson-Film wirft einer der Irren ein Waschbecken aus dem Fenster, um aus der Klapse zu fliehen. Kann kein Waschbecken entdecken. Werde panisch. Mein Puls rast. Die Tür geht auf. Ich schreie laut auf. Doch statt zwei Gorillas mit Zwangsjacke steht nur die Sprechstundenhilfe im Raum. Sacke in mich zusammen. Der Arzt schaut mich ernst an und wendet sich dann an seine Sprechstundenhilfe.
»Könnten Sie mir bitte die Visitenkarte der Kollegin Nelle-Distel heraussuchen?«
Wie ich erfahre, handelt es sich bei Kollegin Nelle-Distel um eine Therapeutin, die auf Prüfungsangst spezialisiert ist. Die hätte ich nämlich. Ich und Angst! Pah! Weise die Diagnose weit von mir. Der Arzt stellt mir eine simple Frage.
»Wann genau, sagten Sie, haben Sie Ihre Prüfung?«
Das Blut schießt mir in den Kopf. Puls 180. In der halben Minute. Kriege kaum Luft. Nehme die Visitenkarte und gehe. Am Nachmittag mache ich einen Termin mit der Therapeutin.
11. Juli 1991
Erste Sitzung. Bin todmüde. Kaum geschlafen. Frau Nelle-Distel sieht gar nicht so übel aus. Midirock, Nylons. Schaue auf ihre Beine. Die kleinen Härchen bilden unter dem Nylonstrumpf eine Art Maserung. Könnte kongolesische Wenge sein. Überlege, wie man ein Hartholz wie kongolesische Wenge fachmännisch
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