Steile Welt (German Edition)
Glauben, das schon. Aber dafür muss ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen, um das zu zeigen.
Wir hatten nicht viel, aber immer genug zum leben. Solange genug zu Essen da war und man nicht frieren musste, war man zufrieden. Man kannte nichts anderes. Es gab keine Nachbarn, die in Saus und Braus lebten. So hatte man nie das Gefühl, es würde einem an etwas fehlen. Das Aussergewöhnlichste, was wir in unserem Haus hatten, war ein kleines Radiogerät, das meine Mutter bestellt hatte. Es kam eines Tages mit der Post. Am Abend sass man davor. Sonst gab es ja nicht viel an Unterhaltung, wenn man alles abdunkeln musste und drinnen sitzen. Es gab sowieso nur wenige Vergnügungen. Als Mädchen hatte man es erst recht schwer. War einmal Fest und Tanz irgendwo, dann hiess es gleich, man müsse um acht Uhr zu Hause sein. So war es dann im Grunde auch ein bisschen ein Schritt in Richtung Freiheit, als man weg musste, um zu arbeiten. Da zählte man dann schon fast zu den Erwachsenen, und die Kontrolle wurde nicht mehr gar so streng gehandhabt. Schliesslich wurde ja auch von einem erwartet, dass man irgendwann eine gute Partie machte und einen rechten Mann zum Heiraten fand. Ja, so war das, als ich jung war. Aber was will man zurückschauen. Die Zeit ist vergangen, und die Vergangenheit liegt weit zurück. Daran kann man nichts mehr ändern.
Und nun bin ich alt. Habe mein Leben gelebt und immer das getan, was ich konnte. Auch wenn man die ganze Zeit gearbeitet hat und es manchmal hart war, man konnte leben, man kann zufrieden sein.»
na in ghèlda
Längst springt man nicht mehr jedes Mal aus dem Haus, wenn sich der Helikopter ankündigt. Er gehört dazu wie das Postauto oder der Kleinbus des Bäckers. Eine Dienstleistung, welche hier so alltäglich ist wie anderswo ein Kranwagen. Ein Pilot, zwei Männer als Bodenpersonal im Auto, verbunden durch Mikrofon und Kopfhörer. Ein eingespieltes Team, welches sein Tagwerk verrichtet, als gelte es, möglichst keine Aufmerksamkeit zu erregen. Was es aber dennoch immer wieder tut. Das Schauspiel ist trotz seiner Häufigkeit immer wieder ungewöhnlich beeindruckend.
Er schaut sich um, sagt der Nachbar, als man am Strassenrand steht, in die Luft starrt und raucht. Damit meint er natürlich den Piloten. Trotzdem sieht es so aus, als würde dieses laute, blaugelbe Insekt am Hang kreisen, sich drehen und wenden und nach einem geeigneten Ziel Ausschau halten. Eine Riesenwespe, die zwar etwas schwerfällig, aber dennoch ziemlich geschickt Richtung und Höhe verändert, um die Umgebung ausführlich in Augenschein zu nehmen.
Plötzlich ist er sich sicher. Dreht bei, ein schneller Aufstieg zur Strasse hin, wo er exakt darüber am Himmel zum Stehen kommt. Nun wird ein schwerer, langer Trägerbalken am Seilende befestigt, hochgehoben und mit der nötigen Vorsicht, damit er nicht allzu fest schaukelt, am Hang entlang runter zum Steinhaus transportiert und dort zwischen die Bäume gelegt, sodass er nicht abrutschen kann. Dies geschieht dreimal, dann entschwindet das Insekt bereits wieder Richtung Talausgang. Auch die Männer steigen ins Auto und fahren davon. Eine Sache von nicht einmal zehn Minuten insgesamt. Was nicht getragen oder gefahren werden kann, wird geflogen. Material für den Hausbau, Heu für die Tiere. Einrichtung für die Alphütten oder wandermüde Leute.
Der Bus fährt sechs Mal am Tag. Am Sonntag fünf. Entweder man richtet sich ein, oder man geht zu Fuss. Man geht also zu Fuss. Nicht eben ein Sonntagsspaziergang, wonach der Sinn steht, aber als solcher deklariert beim Planen des Tagesprogramms. Der Bergweg gut markiert: weiss-rot-weiss, weniger schweizerisch als vielmehr etwas karitativ anmutend. Dafür werden auch hier bereits Erst-August-Kracher verpufft. Falls das Wetter schlecht sein sollte am Feiertag vielleicht.
Die mitgebrachten Gehilfen in Form von Stöcken erweisen unterstützende Dienste. Nur kein «h» einfügen, ansonsten fühlt man sich alt.
Die Luft ist rein bis auf ein paar in der Sonne wiederkäuende Kühe auf den Matten. Der Schellenklang kommt aus dem Stall, die Ziegen haben keinen Ausgang. Auf der Hausmauer sitzt eine kleine rote Katze. Ecco il vero Bimbo.
Diesmal führt der Weg nicht zu den Monti, sondern links Richtung Alp. Ein erfrischendes Glas Wasser und die Frage nach der vermissten Jacke. Nein, die sei hier nicht liegengeblieben. Nun, wer also keinen Kopf hat, hat Beine und wird all die bereits gegangenen Wege weiterhin verfolgen auf der Suche
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